KOF Wirtschaftsforum: «Begrenzungsinitiative: Was steht für die Schweiz auf dem Spiel?»

Verlieren Schweizer Unternehmen den Zugang zu ihrem wichtigsten Markt? Am 27. September 2020 stimmt die Schweiz über die Begrenzungsinitiative ab, die das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU ausser Kraft setzen will. Am KOF Wirtschaftsforum vom 4. September wurde debattiert, wie sich eine Annahme der Initiative auf Löhne und Beschäftigung auswirken könnte. Schürt die Diskussion Unsicherheit? Welches Signal sendet sie Unternehmen – in der Schweiz und im Ausland?

«Die Annahme der Begrenzungsinitiative wäre ein Mini-Swissxit», sagt Cenni Najy, Vize-Präsident von Foraus. Er eröffnete den Anlass und skizzierte die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU sowie die Verflechtung einzelner Verträge durch die Guillotine-Klausel. Najy appelierte, dass bei einer Kündigung der Personenfreizügigkeit nicht nur sechs weitere bilaterale Abkommen beendet, sondern das Verhältnis zur EU generell in Frage gestellt würde. Die EU sei bereits irritiert, etwa wegen Verzögerungen bei der Unterzeichnung des institutionellen Abkommens. Eine Annahme der Initiative wäre eine weitere Komplikation. Zudem riskiere die Schweiz die internationale Glaubwürdigkeit. Bisher haben beide Seiten den bilateralen Weg immer als wertvolles Gut betrachtet. So bliebe ihnen nur noch, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Cenni Najy erinnerte, dass die bilateralen Abkommen den Wohlstand der Schweiz erhöht hatten – insbesondere der flexible Arbeitsmarkt gehöre zu den Stärken. Evidenz für positive Effekte liefert Andreas Beerli, Arbeitsmarktexperte am Lehrstuhl für Angewandte Makroökonomie bei der KOF. Seine Studie zeigt: Entgegen der Lehrbucherwartung gerieten Löhne und Beschäftigung durch die Personenfreizügigkeit nicht unter Druck. Denn Ende 1990 litten Grenzregionen unter Fachkräftemangel – was Unternehmen hemmte, zu expandieren. Die Personenfreizügigkeit ermöglichte es, ausländische Fachkräfte zu rekrutieren. Unternehmen investierten, waren innovativ und konnten produktiver wirtschaften. Die Begrenzungsinitiative könnte dies jedoch wieder zunichte machen. Denn sie steht für Unsicherheit in Bezug auf den Zugang zu Fachkräften.

Expertise verschiebt sich ins Ausland 

Dass Unsicherheit Gift ist, weiss Simon Michel, CEO der Ypsomed Holding AG und Vorstandsmitglied der Swiss Medtech. Sein Medizintech-Unternehmen exportiert rund 95% seiner Produkte. «Die Begrenzungsinitiative führt zu Unsicherheiten, die uns Unternehmer zum Handeln motivieren.» So werde automatisch Expertise in ausländische Tochtergesellschaften verschoben: «Mein Herz schmerzt, wir müssen heute schon im Ausland Forschungszentren aufbauen, weil wir die Leute in der Schweiz nicht finden», sagt Michel. SVP-Nationalrat Thomas Aeschi ist jedoch überzeugt, dass man diese Unsicherheit in Kauf nehmen müsse: «Die Nachteile der Massenzuwanderung sind noch gravierender». Die Zuwanderung müsse wieder gesteuert werden, sodass etwa Ingenieure und Ärzte einwandern, nicht aber Leute aus Branchen, die heute schon eine hohe Arbeitslosenquote aufweisen. «Man muss die Arbeitgeber verpflichten, zuerst die Inländer einzustellen. Dies geht nur über Kontingente und Höchstzahlen», sagt Aeschi. Gleichzeitig spricht er den Schweizer Verhandlern Mut zu: «Wir werden bei fast allen Abkommen gegängelt und erpresst. Die Schweiz sollte bestimmter auftreten und eigenständig Höchstzahlen festlegen.»

Für Regine Sauter, Direktorin der Zürcher Handelskammer und FDP-Nationalrätin, ist klar, dass ein Ende der bilateralen Verträge erheblich wäre und letztlich zu einem Wohlstandsverlust führen würde. Die Wirtschaft sei verflochten, Unternehmen bilden Wirtschaftsketten. So bewegen sich auch kleine Unternehmen in einem internationalen Umfeld. «Wenn es den grossen Unternehmen nicht gut geht, haben auch die kleinen nichts zu tun», sagt Sauter. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass die Personenfreizügigkeit auch für Schweizerinnen und Schweizer Chancen eröffnet.
 

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