KOF Globalisierungsindex: Globalisierung nähert sich Vor-Pandemie-Niveau
Die weltweiten Verflechtungen erholen sich schrittweise, wie der KOF Globalisierungsindex für das Jahr 2022 zeigt. Die Globalisierung nähert sich wieder ihrem Niveau vor der COVID-19-Pandemie. Schubkraft gab insbesondere die ökonomische Globalisierung, während die soziale und politische Globalisierung weiterhin unter den Nachwirkungen der Pandemie leiden. Die am stärksten globalisierten Länder sind die Niederlande, gefolgt von der Schweiz und Belgien.
Die stärksten Zuwächse verzeichnete im Jahr 2022 die ökonomische Globalisierung. Die Lockerung von pandemiebedingten Beschränkungen belebte den internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen wieder. Vor allem der Dienstleistungshandel profitierte von der Abkehr der meisten pandemiebedingten Restriktion. Auch der Warenhandel zeigte sich robust, unterstützt durch die Auflösung von Lieferkettenproblemen und einer weiterhin hohen globalen Nachfrage.
Im Gegensatz dazu schwächte sich die finanzielle Globalisierung ab. Ausländische Direktinvestitionen, Portfolio-Investitionen und der internationale Schuldenstand gingen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) zurück. Damit wurde das Wachstum der ökonomischen Globalisierung im Jahr 2022 vor allem durch Handelsströme und weniger durch finanzielle Verflechtungen getrieben.
Soziale und politische Globalisierung mit verhaltenem Wachstum
Die soziale Globalisierung zeigt erste Anzeichen einer Erholung, insbesondere in Bereichen wie kulturellem Austausch und persönlicher Mobilität. Der Index für die soziale Globalisierung stieg im Jahr 2022 aufgrund von Verbesserungen der institutionellen Rahmenbedingungen, wie etwa internationalen Abkommen (de jure), sowie durch eine Zunahme tatsächlicher grenzüberschreitender Kontakte und Aktivitäten, wie dem Tourismus und kulturellen Austausch (de facto), erneut. Dennoch bleibt das Niveau unter dem von 2019, da die internationale Mobilität weiterhin eingeschränkt blieb.
Die politische Globalisierung stagnierte nahezu. Während sich institutionelle Rahmenbedingungen, wie etwa Mitgliedschaften in internationalen Organisationen und multilaterale Verträge, leicht verbesserten (de jure), nahm die tatsächliche Präsenz der internationalen Zusammenarbeit, etwa durch diplomatische Vertretungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ab (de facto). Geopolitische Spannungen und eine verstärkte Fokussierung auf nationale Interessen trugen dazu bei, die globale Zusammenarbeit in diesem Bereich zu bremsen.
Länderbetrachtung: Die Niederlande stehen 2022 wieder an der Spitze der am stärksten globalisierten Länder. Dies ist vor allem ihrer Rolle als zentrale Handelsdrehscheibe Europas zu verdanken. Der Hafen von Rotterdam, einer der grössten Umschlagplätze für Waren in Europa, trägt massgeblich dazu bei, dass die Niederlande aussergewöhnlich hohe Import- und Exportvolumen aufweisen. Diese wirtschaftliche Verflechtung unterstreicht ihre Bedeutung für den internationalen Handel.
Auf Platz zwei folgt die Schweiz, die in allen drei Dimensionen der Globalisierung – ökonomisch, sozial und politisch – eine führende Rolle spielt. Besonders ihre Exportstärke im Pharma- und Chemiesektor sowie ihre enge Einbindung in internationale Organisationen und Handelsnetzwerke sichern ihr eine herausragende Position im Ranking. Belgien belegt den dritten Platz, gestützt durch seine starke Integration in die europäische Wirtschaft und mit einer hohen Dichte an internationalen Organisationen.
Russland hingegen verzeichnete 2022 einen der stärksten Rückgänge im Globalisierungsindex. Internationale Sanktionen und der Rückzug zahlreicher internationaler Unternehmen infolge geopolitischer Spannungen führten zu einer deutlichen Abnahme der wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen.
Ausblick auf 2023: Inflation und Handel prägen die Globalisierung
Im Jahr 2023 blieb die Inflation hoch, getrieben durch Energiekrisen und strukturelle Versorgungsengpässe, was den weltweiten Konsum und die globale Nachfrage belastete. Der Warenhandel ging zurück, während sich der Dienstleistungshandel, vor allem durch die Erholung des Tourismus, weiter normalisierte. Gleichzeitig führten geopolitische Spannungen und wirtschaftliche Unsicherheiten zu einer Neuausrichtung globaler Handelsströme. Diese Entwicklungen werden sich voraussichtlich im nächsten KOF Globalisierungsindex widerspiegeln.
Methodik
Der KOF Globalisierungsindex misst die wirtschaftliche, soziale und politische Dimension der Globalisierung. Er dient der Beobachtung von Veränderungen des Grads der Globalisierung von Ländern über einen langen Zeitraum. Der aktuelle KOF Globalisierungsindex liegt für 195 Länder und den Zeitraum 1970 bis 2021 vor. Im Index wird zwischen der de facto und der de jure Globalisierung im Gesamtindex sowie in der ökonomischen, sozialen und politischen Komponente unterschieden. Der Index misst die Globalisierung auf einer Skala von 1 bis 100. Die Werte der zugrunde liegenden Variablen werden in Perzentile unterteilt. Es werden 42 unterschiedliche Variablen verwendet, die anhand statistisch ermittelter Gewichte (Hauptkomponentenanalyse) aggregiert werden.
Der Teilbereich der ökonomischen Globalisierung enthält einerseits den Bereich Handelsflüsse und andererseits Finanzflüsse. Die de facto Handelsglobalisierung wird anhand des Güter- und Dienstleistungshandels ermittelt. Die de jure Handelsglobalisierung beinhaltet Zölle, Steuern und Handelsbeschränkungen. Die de facto finanzielle Globalisierung umfasst Auslandsinvestitionen in verschiedenen Kategorien. Die de jure finanzielle Globalisierung beinhaltet Investitionsbeschränkungen, die Offenheit der Kapitalbilanz sowie internationale Investitionsabkommen.
Der Teilbereich der sozialen Globalisierung enthält die Bereiche persönliche Kontakte, Informationsflüsse und kulturelle Globalisierung. Für jeden Bereich wird wiederum zwischen de facto und de jure unterschieden. Persönliche Kontakte werden im de facto-Bereich anhand von internationalen Telefonverbindungen, Tourismusströmen und Migration gemessen, im de jure-Bereich anhand von Telefonabonnementen, internationalen Flughäfen und Visarestriktionen. Informationsflüsse werden de facto anhand von internationalen Patentanmeldungen, internationalen Studierenden und Hochtechnologiehandel ermittelt. Im de-jure-Bereich werden der Zugang zu TV und Internet, die Pressefreiheit und die internationalen Internetverbindungen gemessen. Kulturelle Globalisierung besteht de facto aus Handel mit Kulturgütern, Registrationen internationaler Markenrechte sowie der Zahl der McDonalds-Restaurants und IKEA-Läden. Der de jure-Bereich wird anhand von Bürgerrechten, Geschlechtergleichheit und Bildungsstand gemessen.
Der Teilbereich der politischen Globalisierung wird de facto anhand der Zahl von Botschaften, internationalen Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) und der Teilnahme in UN-Friedensmissionen ermittelt. Der de jure-Bereich beinhaltet Variablen zur Mitgliedschaft in internationalen Organisationen und internationalen Verträgen.
Kontakt
KOF FB Konjunktur
Leonhardstrasse 21
8092
Zürich
Schweiz