KOF-NZZ-Umfrage: Wo stehen die Schweizer Ökonominnen und Ökonomen in zentralen wirtschaftspolitischen Fragen?
Die KOF hat gemeinsam mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Ökonominnen und Ökonomen zu grundsätzlichen und aktuellen ökonomischen Aussagen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass sie staatliche Eingriffe wie Mietzinskontrollen und Zölle ablehnen. Bei Fragen nach der Lockerung der Schweizer Schuldenbremse oder der Förderung umweltfreundlicher Technologien durch Subventionen sind die Meinungen je nach politischer Orientierung hingegen geteilt.
Die Umfrage vom Dezember 2024 umfasste 19 Aussagen aus verschiedenen ökonomischen Themenbereichen. Befragt wurden akademisch forschende Ökonominnen und Ökonomen in der Schweiz. Es gingen 177 Antworten ein, was einer Rücklaufquote von 21% entspricht. Die Umfrageteilnehmenden wurden zudem nach den drei Charakteristiken Alter, Geschlecht und politische Orientierung gefragt. Hinsichtlich der politischen Orientierung zeigt sich, dass der Anteil der (eher) links zu verortenden Antwortenden mit 36% höher ist als der Anteil der sich (eher) rechts einstufenden Antwortenden (20%). Ein grosser Anteil von 44% ordnet sich politisch in der Mitte ein. Zu beachten ist allerdings, dass 18% der Teilnehmenden die Frage nach der politischen Orientierung nicht beantwortet haben. Werden die Charakteristiken gegenübergestellt, zeigt sich, dass Frauen und junge Menschen sich (eher) politisch links positionieren. Dies deckt sich mit externe Seite Erhebungen des Bundesamts für Statistik (BFS) bei der Gesamtbevölkerung. Bei der KOF-NZZ-Umfrage zeigt sich, dass die politische Orientierung bei 13 von 19 Fragen der Umfrage einen signifikanten Einfluss auf das Antwortverhalten hat.
Wettbewerb und Regulierungen: meist skeptisch gegenüber Eingriffen
Vier Fragen im Bereich der Markteingriffe zeigen, dass die befragten Ökonominnen und Ökonomen tendenziell für wenig Regulierung plädieren: Eine Mehrheit von insgesamt 71% ist der Meinung, dass eine Mietzinskontrolle die Quantität oder Qualität des Wohnungsangebots (eher) verringert. Teilnehmende, die sich politisch eher dem rechten Lager zuordnen, stimmen dieser Aussage verbreitet zu (93%). Unter linksorientierten Ökonominnen und Ökonomen ist es mit 51% etwa die Hälfte, die (eher) zustimmt (25% von ihnen sind unentschlossen, d.h., sie stimmen weder zu, noch lehnen sie ab). Einigkeit herrscht bei der Frage, ob Zölle und Importquoten den materiellen Wohlstand eines Landes verringern: Insgesamt 81% der Ökonominnen und Ökonomen stimmen dieser Aussage (eher) zu. Bei den politisch rechts Orientierten sind es sogar 93%, bei den links Orientierten 70%.
Demografie Umfrageteilnehmende:
Von den Befragten sind 14% jünger als 35 Jahre, 38% zwischen 36 und 45 Jahren, 22% zwischen 46 und 55 Jahren und 26% älter als 56 Jahre. 84% der Befragten sind männlich und 16% weiblich. Nach Alterskategorien unterteilt ist der Frauenanteil mit 20% in der Altersgruppe 36 bis 45 Jahre am höchsten. Am tiefsten ist der Frauenanteil mit 11% in der Altersgruppe über 56 Jahre.
Dass Lohn- und/oder Preiskontrollen (eher) nicht als Mittel zur Inflationsbekämpfung eingesetzt werden sollten, ist unter den Umfrageteilnehmenden kaum strittig (83% lehnen die Aussage ab, bei den rechtsorientierten Personen 93%, bei den linksorientierten Antwortenden 81% und bei denen, die sich in der Mitte verorten, 86%).
Weniger eindeutig sind dagegen die Antworten zur Aussage, ob ein bindender Mindestlohn die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und ungelernten Arbeitskräften erhöht: Insgesamt stimmen 44% dieser Aussage (eher) zu und 38% lehnen sie (eher) ab. Ein hoher Anteil von 18% stimmt der Aussage weder zu, noch lehnt er sie ab. Bei dieser Frage sind sich die politischen Lager in der Bewertung uneins. Während bei den (eher) rechtsorientierten Teilnehmenden mit 72% die Mehrheit der Aussage, dass die Arbeitslosigkeit erhöht wird, (eher) zustimmt, sind es bei den Teilnehmenden aus der Mitte 50%. Die (eher) links Orientierten lehnen diese Aussage dagegen mehrheitlich (eher) ab (60%).
Regulierung von Schweizer Grossbanken: Too-Big-To-Fail-Revision umstritten
Seit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS steht die Regulierung von Grossbanken wieder verstärkt im Fokus der öffentlichen Diskussion. Bei der Aussage, ob eine Revision der Too-Big-To-Fail-Regulierung, so dass eine Schweizer Grossbank im Krisenfall ohne Risiko für die Steuerzahlenden abgewickelt werden könnte, grundsätzlich möglich sei, sind sich die Ökonominnen und Ökonomen nicht einig. 47% stimmen dieser Aussage (eher) zu, 14% stimmen weder zu, noch lehnen sie ab und 39% lehnen diese Aussage (eher) ab. Der Einfluss der politischen Orientierung auf das Antwortverhalten ist hier nicht sehr stark ausgeprägt.
Staatsverschuldung: in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften als zu hoch erachtet
Die COVID-19-Pandemie hat in vielen Ländern zu einem starken Anstieg der Staatsverschuldung geführt. Dies hat eine breite Diskussion darüber ausgelöst, inwieweit die Staatsverschuldung in verschiedenen Ländern zu hoch ist. Insgesamt rund zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden sehen sie in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften als (eher) zu hoch an. Bei den Ökonominnen und Ökonomen, die sich politisch (eher) rechts oder in der Mitte einordnen, stimmt jeweils die Mehrheit dieser Aussage zu (86% bzw. 75%). Anders sieht es bei den Teilnehmenden aus, die sich politisch als (eher) links einstufen: 44% von ihnen stimmen dieser Aussage zu, 30% stimmen weder zu, noch lehnen sie ab, 26% lehnen diese Aussage ab.
Bezogen auf die Schweiz wird die Staatsquote – also das Verhältnis zwischen den Staatsausgaben und dem Bruttoinlandprodukt – nicht als zu hoch angesehen: Mehr als zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden lehnen die Aussage ab, die Staatsquote sei zu hoch. Diese Ansicht ist in allen politischen Lagern recht verbreitet, wenngleich nicht in allen gleich stark ausgeprägt. 48% der sich als (eher) rechts einordnenden Teilnehmenden lehnen die Aussage ab, 11% sind hier unentschlossen und 41% stimmen dieser Aussage zu. In den anderen politischen Lagern lehnt jeweils die Mehrheit diese Aussage ab, nämlich 59% der Teilnehmenden, die sich der Mitte zuschreiben, und 90% der nach links Orientierten.
Weniger einig sind sich die Ökonominnen und Ökonomen über die Schweizer Schuldenbremse: Insgesamt stimmen 37% der Aussage zu, dass die Schuldenbremse gelockert werden soll, 17% sind unentschlossen und 46% lehnen die Aussage ab. Von den (eher) rechtsorientierten Ökonomen lehnen 71% die Aussage ab, von den Teilnehmenden, die sich politisch in der Mitte sehen, lehnen 45% ab und 33% stimmen zu und von den Ökonomen, die sich (eher) links sehen, stimmen 47% zu und 34% lehnen ab.
Ungleichheit: Vermögensverteilung laut etwa der Hälfte der Befragten zu ungleich
Die Wirtschaftswissenschafter wurden zudem gefragt, wie sie die Ungleichheit in der Schweiz einschätzen. Dabei wurde zwischen dem verfügbaren Einkommen und dem Vermögen unterschieden. 41% der Teilnehmenden gaben an, dass die verfügbaren Einkommen (eher) gleichmässiger verteilt sein sollten. Dagegen lehnen 36% diese Aussage (eher) ab. Die Antworten unterscheiden sich aber erheblich, je nachdem, welche politische Präferenz die Teilnehmenden haben. Bei den (eher) links Orientierten stimmen 71% der Aussage zu, dass die Einkommen gleichmässiger verteilt sein sollten, bei den (eher) rechts Orientierten lehnt genau dieser Anteil die Aussage ab. Bei den Ökonominnen und Ökonomen, die sich politisch in der Mitte sehen, ist das Bild unscharf, 30% stimmen der Aussage zu und 41% lehnen sie ab.
Bezüglich des Vermögens schätzen 56% die Verteilung als (eher) zu ungleich ein. 29% lehnen diese Aussage (eher) ab. Demzufolge wird die Ungleichheit der Vermögen in der Schweiz als kritischer eingeschätzt als die Ungleichheit der Einkommen. Der Einfluss der politischen Orientierung ist aber hier ähnlich wie beim Thema Einkommensungleichheit zu spüren: Die Aussage, die Vermögen sollten gleicher verteilt sein, lehnen 75% der rechts Orientierten ab, 88% der links Orientierten stimmen ihr zu. Von den Mitteteilnehmenden stimmen 53% zu.
Ursache von Inflation: monetäre Erklärung verbreitet
Bezüglich der Ursachen der Inflation kann zwischen monetaristischen und nicht monetaristischen (etwa keynesianischen, angebotsseitigen oder strukturellen) Erklärungsansätzen unterschieden werden. Monetaristen gehen davon aus, dass Inflation ein monetäres Phänomen ist. Das heisst, dass Inflation – insbesondere über die kurze Frist hinaus – eine Folge einer Ausdehnung der Geldmenge ist, die stärker ist als die Zunahme der realen Produktion von Gütern und Leistungen. Die keynesianische Inflationstheorie fokussiert dagegen auf die Phillips-Kurve. Gemäss dieser sind Arbeitslosigkeit und Inflationsrate in der kurzen Frist negativ korreliert.
In der Umfrage finden beide Theorien eher Zustimmung. Dabei fällt die Zustimmung zum monetaristischen Ansatz etwas höher aus: 58% stimmen der Aussage zu, dass Inflation (eher) ein monetäres Phänomen ist. Dagegen ist nur knapp die Hälfte der Teilnehmenden (51%) der Überzeugung, dass die Arbeitslosigkeit kurzfristig durch eine höhere Inflationsrate gesenkt werden kann. Die Ansichten über den Monetarismus sind je nach politischer Orientierung der Umfrageteilnehmenden unterschiedlich: 76% der (eher) rechtsorientierten Teilnehmenden stimmen der These des Monetarismus (eher) zu, Ökonominnen und Ökonomen in der Mitte des politischen Spektrums stimmen zu 68% (eher) zu. Von den Teilnehmenden aus dem (eher) linken Spektrum stimmen 34% (eher) zu und 47% lehnen sie (eher) ab. Dagegen unterscheiden sich die Zustimmungsraten zur kurzfristigen Phillips-Kurve über die politischen Ausrichtungen hinweg nicht sehr ausgeprägt (Links: 50%, Mitte: 61%, Rechts: 45%).
Umweltpolitik: Uneinigkeit über Industriesubventionen
Die befragten Ökonominnen und Ökonomen äusserten sich auch zu zentralen Fragen der Umweltpolitik. Uneinigkeit herrscht bei der Frage, ob die Umstellung auf grüne Technologien in der Schweiz durch Industriesubventionen gefördert werden sollte. Während insgesamt 45% der befragten Ökonominnen und Ökonomen dies (eher) befürworten, lehnen 41% diesen Ansatz (eher) ab. Weitere 14% äusserten sich neutral. In dieser Frage spielt die politische Ausrichtung der Antwortenden eine bedeutende Rolle.
Industriesubventionen lehnen 71% der sich als (eher) politisch rechts einordnenden Teilnehmenden ab, dies tun auch 46% der in der politischen Mitte stehenden. Dagegen befürworten 65% der Antwortenden aus dem (eher) linken Spektrum solche Subventionen.
Im Gegensatz dazu fällt die generelle Haltung zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Emissionssteuern im Vergleich zu Grenzwertregelungen klarer aus: Eine deutliche Mehrheit von insgesamt 78% bevorzugt (eher) die Einführung von Emissionssteuern gegenüber der Festlegung von Grenzwerten. Diese Präferenz ist über alle politischen Lager hinweg gültig.
Konsens besteht auch bei der Einschätzung des Potenzials neuer Technologien: Insgesamt 72% der Teilnehmenden glauben (eher), dass mit technologischen Innovationen ein klimaneutrales Wirtschaftswachstum möglich sein wird. Nur 12% sehen dies (eher) skeptisch, während 16% unentschlossen sind.
Ein weiteres Thema, das immer wieder intensiv diskutiert wird, ist die Rolle von Zentralbanken in der Klimapolitik. So diskutierte beispielsweise im April 2024 der Nationalrat über Klimaregeln für die Schweizerische Nationalbank (SNB). 62% der auf die KOF-NZZ-Umfrage antwortenden Wirtschaftswissenschafter lehnen generell die Aufnahme von Klimazielen in das Mandat von Zentralbanken (eher) ab. Dagegen würden 28% eine solche Mandatserweiterung (eher) befürworten. Allerdings unterscheiden sich die Antworten je nach politischer Ausrichtung deutlich. 86% der (eher) rechtsorientierten und 70% der sich in der politischen Mitte verankernden Befragten lehnen die Berücksichtigung von Klimazielen durch Zentralbanken (eher) ab. Weniger klar äussern sich die Befragten aus dem (eher) linken Spektrum: Eine knappe Mehrheit von 53% ist für die Aufnahme, 15% sind weder dafür noch dagegen und 32% sprechen sich dagegen aus. Zudem zeigt sich, dass Ökonominnen der Aufnahme eher zustimmen als Ökonomen.
Politische Einstellung bei Bewertung der Verteilungsfragen am einflussreichsten
Die politische Einstellung der Antwortenden spielt bei der Mehrzahl der Fragen für das Antwortverhalten eine Rolle. Besonders stark ist diese Rolle bei Fragen zur Verteilung, sowohl der Vermögens- als auch der Einkommensverteilung. Aber auch bei einigen der Fragen zur Klimapolitik unterscheiden sich die Antworten je nach politischer Ausrichtung. Etwa zur Rolle der Zentralbanken in der Klimapolitik oder zur Nutzung von Industriesubventionen. Bei der Bewertung der Auswirkungen von Mindestlöhnen und bei der Einschätzung der Staatsquote in der Schweiz ist die politische Ausrichtung der Teilnehmenden ebenfalls von grösserer Bedeutung.
Auf der anderen Seite sind die Ansichten über die politischen Lager hinweg ähnlich bei den Fragen zum Potenzial neuer Technologien für ein klimaneutrales Wachstum, zur Einschätzung des Instruments der Emissionssteuern, zu den Eigenkapitalregelungen für Banken und der Too-Big-To-Fail-Regulierung. Auch die Einschätzungen zur Phillips-Kurve unterscheiden sich zwischen den Lagern kaum.
Die KOF-NZZ-Ökonomenumfrage behandelt für die Schweiz wirtschaftspolitisch relevante Themen und ist ein Instrument, um die Ansichten der akademisch forschenden Ökonomen und Ökonominnen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Medienpartner der KOF bei der Erstellung und Interpretation der Ökonomenumfrage ist die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Im Dezember führte die KOF gemeinsam mit der NZZ eine Umfrage zu wichtigen grundsätzlichen und aktuellen ökonomischen Fragen durch. Ein Teil der Fragen sind aktualisierte Formulierungen einer internationalen Umfrage, die 1980 von Bruno S. Frey, Werner W. Pommerehne, Friedrich Schneider und Guy Gilbert durchgeführt wurde (externe Seite Link zum Papier). Die Umfrage startete am 02.12.2024 und endete am 20.12.2024. 854 Ökonomen und Ökonominnen wurden angeschrieben. Es gingen Antworten von 177 Ökonominnen und Ökonomen aus 19 Institutionen ein.
Ansprechperson
KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
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Zürich
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