Zölle unter der Lupe: Ein Analyse-Werkzeug für Handelskonflikte

US-Präsident Donald Trump hält mit seiner erratischen Zollpolitik die Welt in Atem. Die KOF hat ein Handelsmodell entwickelt, mit dem sich die Konsequenzen des zunehmenden Protektionismus für verschiedene Szenarien berechnen lassen.

Zölle schaden in der Regel der Wirtschaft. Diese Faustregel bekommen Studenten und Studentinnen der Volkswirtschaftslehre bereits im ersten Semester ihres Studiums beigebracht. Doch der Teufel liegt wie so oft im Detail: Welches Land und welche Branche leiden am meisten und gibt es auch Gewinner? Wer kommt weitgehend unbeschadet durch einen Handelsstreit? Und wie lassen sich diese Effekte quantifizieren?

Antworten liefert das KOF Handelsmodell, das KOF Co-Direktor Hans Gersbach zusammen mit den KOF Ökonomen Kieran James Walsh und Paul Maxence Maunoir entwickelt hat. «Das Modell bildet die globalen Handelsverbindungen von fast 80 Ländern ab, und zwar nicht nur auf der Ebene der Endprodukte, sondern über die ganze Lieferkette hinweg auch auf Zulieferer-Ebene», erklärt Hans Gersbach. «Das Modell kann Änderungen, Schocks und Handelsumlenkungen in diesen Lieferketten analysieren und berechnen, wie sich die Firmen anpassen und wie sich die Preise und die Produktion ändern», so Gersbach weiter.

Das Modell kann sich anpassen

Zweieinhalb Jahre haben sie an der Entwicklung des KOF Handelsmodells gearbeitet und die Ergebnisse in diesem Frühjahr als Working Paper veröffentlicht. Als Gersbach und sein Team die Arbeit an dem Modell aufnahmen, war noch gar nicht absehbar, dass der selbst ernannte Zollliebhaber Donald Trump erneut Präsident der USA werden würde. Nun ist es für die Analyse seiner erratischen Zollpolitik verfügbar. Denn das Modell kann sich an alle denkbaren Zollsätze, Szenarien und Konstellationen innerhalb kürzester Zeit anpassen.

«Grundmotivation für die Entwicklung des Modells war die Position der Schweiz als kleine offene Volkswirtschaft mit hohen Exporten und hohen Importen sowohl für Güter als auch für Dienstleistungen. Die Schweizer Volkswirtschaft lässt sich mit einem Handelsmodell besser verstehen», so Gersbach. Dass sich das Handelsmodell nun als Instrumentarium zur Analyse des aktuellen Zollkonflikts nutzen lässt, ist ein Nebeneffekt.

Tausende von Variablen fliessen in das Modell ein. Ein normaler Computer wäre da schnell überfordert, weshalb das Modell etwas mehr als normale Rechenkapazität benötigt. «Ein Rechendurchlauf eines bestimmten Zollszenarios dauerte ungefähr einen Tag», erklärt Gersbach, «wobei wir diese Zeit inzwischen weiter verkürzen konnten.»

Die Königsdisziplin der Ökonomie

Das Modell ist ein sogenanntes quantitatives allgemeines Gleichgewichtsmodell. Das bedeutet, dass sich am Schluss des Rechenprozesses auf allen Märkten Angebot und Nachfrage durch Preisanpassungen in einem Gleichgewicht befinden. «Alles hängt in diesem Modell von allem ab, einschliesslich aller Rückwirkungen, aber in unterschiedlicher Stärke. Das zu modellieren, war und ist die Königsdisziplin der Ökonomie», erklärt Gersbach. Datengrundlage für das Modell sind u.a. sogenannte Input-Output-Tabellen, welche die Export- und Import-Beziehungen für Grundstoffe, Zwischenprodukte und Endprodukte aller Länder dokumentieren.

Aber selbst ein so komplexes Modell hat klare Grenzen. «Das Modell fängt eine selbstverstärkende Abwärtsdynamik bei Wirtschaftskrisen oder Finanzkrisen nicht ein», so Gersbach. Zudem sind Preise in der Realität nach unten oft rigide, was das Modell nicht berücksichtigen kann. Drittens vernachlässigt das Modell strukturelle Änderungen von Investitionstätigkeiten über die Zeit, wie zum Beispiel wenn Unsicherheit zur Investitionszurückhaltung führt, sowie über das Modell hinausgehende Wechselkursänderungen, welche die Handelsströme beeinflussen. Und schliesslich fliessen die Einnahmen durch die Einführung von Zöllen bis jetzt nicht ins Modell ein.

Die Ergebnisse des Modells (sogenannte First-Layer-Effekte) müssen deshalb immer durch eine zweite Analyseebene der Second-Layer-Effekte ausserhalb der Modellwelt ergänzt werden. Je nach Szenario können diese Second-Layer-Effekte die Wirkung der First-Layer-Effekte verstärken, deutlich verstärken oder in einzelnen Fällen auch abschwächen. Das KOF Handelsmodell wird im KOF Working Paper externe Seite «Resilience of Small Open Economies to Geopolitical Shocks: The Case of Switzerland» ausführlich beschrieben.

Trumps Zölle und ihre Folgen

Was wäre wenn? Drei politische Szenarien und ihre ökonomischen Konsequenzen für die Schweiz auf Basis des KOF Handelsmodells. Über die Eintrittswahrscheinlichkeit der Szenarien wird damit aber keine Aussage gemacht.

Szenario 1: Moderate Wohlstandverluste

Die USA erheben 10% Importzölle für alle Länder und speziell 30% für China:
In diesem Szenario wären die Wohlstandsverluste für die Schweiz moderat. Die realen Einkommensverluste lägen bei 0.1 bis 0.2%  pro Jahr. Diese Einkommensverluste können annähernd als Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) interpretiert werden. «Das tut weh, ist aber nicht katastrophal», erklärt Hans Gersbach. Direkt betroffen wären in der Schweiz vor allem die Pharmaindustrie, aber auch die Hersteller von Maschinen, Geräten, Präzisionsinstrumenten, Uhren und Lebensmittel würden beispielsweise unter den Zöllen leiden. In diesem Szenario ist man von einer Wirtschaftskrise noch weit entfernt. Allerdings enthält auch dieses Szenario schon das Risiko der oben erwähnten «Second-Layer-Effekte» (Verstärkungseffekte), die mit der Dauer und Persistenz protektionistischer Massnahmen zunehmen. Sie bleiben aber in einem solchen Szenario eher moderat. In einer fragilen Weltwirtschaft können sich selbst diese weiter verstärken.

Szenario 2: Neue Exportschancen

Ein harter Handelskonflikt zwischen China und den USA mit sehr hohen gegenseitigen Zöllen und Exportbeschränkungen:
In diesem Szenario wären die Auswirkungen für die Schweiz auf kurze Sicht neutral. Es ergäben sich sogar neue Exportchancen für die Schweiz, z.B. für Präzisionsinstrumente. Auf lange Frist würde aber auch die Schweiz deutlich unter dem Konflikt leiden. Und zwar wenn es zu Störungen der Lieferketten kommt oder die Nachfrage aus den USA und China nach Exporten aus der Schweiz stark sinkt, weil der Abschwung in diesen Ländern und vor allem den USA so stark ist. Kurz: Die sogenannten «Second-Layer-Effekte» werden immer bedeutender, je länger der Konflikt dauert. Die USA und China schädigen sich nämlich in diesem Szenario vor allem selbst, wobei die USA noch mehr leiden würden als China, da die USA im beträchtlicheren Masse abhängig von chinesischen Rohstoffen, aber auch von Zwischenprodukten und Endprodukten aus China sind. Bei Zwischenprodukten liegt der Anteil Chinas im Durchschnitt an den US-Importen bei weit über 10% und bei der Elektronik ist er deutlich höher. Zudem finden viele chinesische Zwischenprodukte den Weg in die USA über Zwischenländer. Kurzfristig verursachen bedeutende Zölle und andere Handelshemmnisse konjunkturelle Rückschläge, die sich typischerweise weiter verstärken, wenn viele Länder betroffen sind. Je länger diese Zollmassnahmen andauern, desto stärker wirken sich strukturelle Veränderungen aus.

Szenario 3: Es droht ein Horrorzenario

Entkopplung zwischen grossen Wirtschaftsblöcke:
Wenn sich rasch zwei grosse Wirtschaftsblöcke rund um die USA und China bilden, die kaum noch miteinander handeln, würde dies eine Wirtschaftskrise nach sich ziehen. Experten bezeichnen diesen Fall als Entkopplung (englisch: «Decoupling») oder Kalter Krieg 2.0. «Das wäre ein Horrorszenario», so Gersbach. In dieser Konstellation drohen der Schweiz BIP-Verluste in der Grössenordnung von 4 bis 5% pro Jahr, je nach Geschwindigkeit der Entkopplung. Denkbar wäre in diesem Szenario eine von den USA geführte wirtschaftliche Machtsphäre, der sich die Europäische Union, Norwegen, die Schweiz sowie die nicht zur EU gehörenden G7-Staaten (Kanada, Japan und das Vereinigte Königreich) anschliessen. Diese Länder verhängen erhebliche Handelsbarrieren gegenüber Exporten aus einer zweiten wirtschaftlichen Machtsphäre: China (einschliesslich Taiwan und befreundeter Staaten), das in gleicher Weise reagiert. Länder ausserhalb der beiden Sphären handeln weiterhin ohne direkte Störungen, sind jedoch von indirekten Auswirkungen betroffen. Wichtig ist dabei, dass nicht alle Sektoren gleich verlieren. Zum Beispiel wären Präzisionsinstrumente und chemische Produkte aus der Schweiz in einem solchen Szenario stärker nachgefragt. Wie gross die absoluten Verluste sind, hängt davon ab, wie schnell die Entkopplung abläuft.

Ansprechpersonen

Prof. Dr. Hans Gersbach
Ordentlicher Professor am Departement Management, Technologie und Ökonomie
Stellvertretender Leiter KOF Institut
  • LEE F 101
  • +41 44 632 82 80

Makroökonomie, Gersbach
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Thomas Domjahn
  • LEE G 311
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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