Wie sich Inflation, steigende Zinsen und die Energiekrise auf die Schweizer Wirtschaft auswirken

An der diesjährigen KOF Prognosetagung diskutierten vier Experten und Expertinnen vor 150 Gästen über die Folgen der Zinswende und des gestiegenen Preisniveaus.

Inflation war lange Zeit fast ausschliesslich ein Thema für Spezialisten – erst recht in der Schweiz, wo die Teuerung traditionell niedrig ist. Doch seit dem Nachfrageboom im Zuge der weltweiten Lockerungen der Corona-Einschränkungen, der die Preise für Mangelgüter wie beispielsweise Computerchips sprunghaft ansteigen liess, und dem Ausbruch des Ukraine-Krieges, der infolge der Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu rapide steigenden Energiepreisen führte, ist die Inflation ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Denn von steigenden Preisen ist jeder betroffen – egal ob Schüler oder Schülerin, Student oder Studentin, Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin, Rentner oder Rentnerin.

Reto Lipp, KOF Prognosetagung
Reto Lipp, SRF (André Springer)

Entsprechend gross war das Interesse an der diesjährigen KOF Prognosetagung im Careum Auditorium zum Thema «Nach der Zinswende: Hohe Inflation, steigende Zinsen — Wie geht es jetzt mit der Schweizer Wirtschaft weiter?». Rund 150 interessierte Gäste nahmen teil und beteiligten sich engagiert an der von Reto Lipp (SRF) moderierten Diskussionsrunde im Anschluss an die vier Expertenreferate.
 

Die KOF erwartet eine sinkende Inflation und Zinsen, aber keine Rezession

Jan-Egbert Sturm, KOF
Jan-Egbert Sturm, Direktor KOF (André Springer)

Im Auftaktreferat machte KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm deutlich, dass derzeit vor allem die Gaspreise in Europa durch die Decke schiessen, während sich die Ölpreise in historischer Betrachtung noch im Rahmen halten. Das liege daran, dass Öl ein relativ homogenes Gut sei, welches sich gut transportieren lasse, während Gas (abgesehen von Flüssiggas) nur durch bestehende Pipelines fliessen kann, führte Sturm in seinem Referat aus.

Trotz der Energiekrise werde die Schweiz aber mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht in eine Rezession geraten, betonte Sturm, auch wenn die Wirtschaft in einer «Schwächephase» sei und die KOF ihre aktuelle Prognose im Vergleich zur Prognose im Sommer nach unten korrigieren musste. Das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) wird gemäss KOF Konjunkturprognose in diesem Jahr um 2.3% steigen. Für das kommende Jahr erwartet die KOF in ihrem Basisszenario einen Anstieg des realen sporteventbereinigten Bruttoinlandprodukts von 1%.

Gemäss Prognose der KOF wird sich die Inflation in den USA, dem Euroraum und auch der Schweiz mittelfristig wieder abschwächen – allein schon aufgrund des so genannten Basiseffekts. (Die Inflation wird immer im Jahresvergleich gemessen. Das heisst, sofern die Energiepreise hoch bleiben, aber nicht weiter steigen, werden sie im nächsten Jahr nicht mehr zur Inflation beitragen.) Konkret rechnet die KOF mit einer Inflationsrate von 3 Prozent in diesem Jahr, 2.2 Prozent im nächsten Jahr und 0.8 Prozent im Jahr 2024.

Auch die derzeit steigenden Zinsen werden gemäss der KOF nicht ins Unermessliche steigen. Die KOF erwartet, dass sich die Kurzfristzinsen im nächsten Jahr bei vier Prozent in den USA, drei Prozent in Grossbritannien, zwei Prozent im Euroraum und einem Prozent in der Schweiz einpendeln werden.

«Die besten Modelle können keine Schocks antizipieren»

Andréa Machler, Direktoriumsmitglied SNB
Andréa Machler, Direktoriumsmitglied SNB (André Springer)

Anknüpfend erläuterte Andréa Maechler, Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die Inflationsproblematik aus geldpolitischer Sicht. «Eine Straffung der Geldpolitik kann die Preisentwicklung dämpfen», sagte sie. «Aber geldpolitische Massnahmen wirken nicht sofort, sondern nur mit einer zeitlichen Verzögerung. Deshalb gründet die Geldpolitik wesentlich auf Prognosen zukünftiger volkswirtschaftlicher Entwicklungen. Doch auch die besten Prognose-Modelle können Schocks nicht antizipieren», so Maechler weiter.

In den letzten zwei Jahren gab es gleich mehrere bedeutsame Schocks. Als ersten Schock nannte sie die überraschend schnelle volkswirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise, die zu Angebotsengpässen bei vielen Gütern geführt hatte. Der zweite Schock seien die Lockdowns in China gewesen, die zu weltweiten Lieferengpässen geführt haben. Der militärische Angriff Russlands auf die Ukraine, und damit verbunden der starke Anstieg von Energie- und Nahrungsmittelpreisen, war der dritte Schock innerhalb kurzer Zeit.

Alle drei Schocks hätten die Inflation stark angeheizt. Eine Notenbank kann den Inflationsschub infolge eines angebotsseitigen Schocks, der in kurzer Zeit die Preise bestimmter Güter stark erhöhen kann, nicht vollständig unterbinden, so Maechler. Eine Notenbank könne aber verhindern, dass sich dieser Inflationsschub auf andere Güter übertrage. Maechler betonte zudem, wie wichtig der Kurs des Schweizer Frankens für die Schweizer Geldpolitik sei. «Wir sind weiterhin bereit, bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv zu sein. Sollte sich der Franken übermässig aufwerten, würden wir Devisen kaufen. Würde sich der Franken hingegen abschwächen, würden wir Devisenverkäufe erwägen», sagte sie. Die SNB habe bereits ab dem Herbst 2021 eine nominale Aufwertung des Frankens zugelassen, um die importierte Inflation in der Schweiz zu dämpfen. Zudem seien weitere Erhöhungen des SNB-Leitzinses, der derzeit bei 0.5 Prozent liegt, nicht ausgeschlossen.

Podiumsteilnehmerinnen KOF Prognosetagung
Vlnr: Reto Lipp, Jan-Egbert Sturm, Andréa Maechler, Alexandra Janssen, Rudolf Minsch (André Springer)

Verzerrende Effekte durch zu starke Präsenz der Notenbanken

Alexandra Janssen, Ecofin
Alexandra Janssen, CEO Ecofin (André Springer)

Im dritten Referat forderte Alexandra Janssen, CEO des Vermögensverwalters Ecofin Portfolio Solutions, eine schnelle Normalisierung der Geldpolitik. «Die Märkte haben sich durch die lange expansive Geldpolitik an die Präsenz der Notenbanken gewöhnt», so ihre Kritik. So seien die Notenbanken mittlerweile der wichtigste Käufer von italienischen Staatsanleihen, während es früher ein buntes Bild von Käufern gegeben habe. Die Geldmenge sei in den letzten Jahren extrem gestiegen, was zu finanzpolitischen Risiken und verzerrenden Effekten auf den Märkten geführt habe und eine wichtige Ursache der hohen Inflation sei. Neben Zinserhöhungen müssten zudem die Zentralbankbilanzen wieder verkürzt werden.
 

Schweizer Wirtschaft klagt über Vorproduktemangel und steigende Strompreise

Rudolf Minsch, economiesuisse
Rudolf Minsch, Chefökonom economiesuisse (André Springer)

Auch Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse, beurteilte im abschliessenden Referat die von ihm so bezeichnete «ultra-expansive Geldpolitik» der Zentralbanken kritisch. Das billige Geld habe zu vielen unerwünschten Nebeneffekten wie steigenden Immobilienpreisen, einer weltweit steigenden Staatsverschulden und der Entstehung von Zombie-Firmen geführt. Mittlerweile beträgt die Verschuldung vieler Länder, beispielsweise der USA, mehr als 100 Prozent des BIP. In der Schweiz liegt die Schuldenquote allerdings noch bei unter 50 Prozent.

Für die Schweizer Wirtschaft sei die Gemengelage aus Inflation, hohen Energiepreisen und fehlenden Fachkräften herausfordernd. So beklagen gemäss einer Umfrage von Economiesuisse fast 60 Prozent aller Firmen einen Mangel an Vorprodukten. Sogar mehr als 80 Prozent der befragen Unternehmen befürchten aufgrund der steigenden Strompreise in eine Problemlage zu geraten.

Im Anschluss an die engagierte Podiumsdiskussion setzten die Teilnehmenden, Referenten und Referentinnen die Diskussionen bei einem Apéro Riche fort.
 

Die nächste Publikumsveranstaltung der KOF findet am 4. November zum Thema «Corona-Krise, Ukraine-Krieg und Energiemangel: Zerreissprobe für die Beziehungen von Frankreich, Deutschland und der Schweiz?» im Rahmen der «KOF Beyond the Borders»-Reihe statt.

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