Wer leidet am meisten unter der hohen Inflation?

Wie viele andere Volkswirtschaften ist auch die Schweiz derzeit mit ungewöhnlich hohen Inflationsraten konfrontiert. Dies wirft die Fragen auf: Welche Haushalte sind am meisten von der Teuerung betroffen und welche Auswirkungen zeigen sich auf die Kaufkraft? Eine aktuelle Analyse der KOF gibt Antworten auf diese Fragen und zeigt Gründe für Unterschiede in den Teuerungsraten auf.


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Die Preisentwicklung gemessen anhand des Landesindex der Konsumentenpreise1 (BFS) zeigt, dass die Preise in der Schweiz nach dem Beginn der COVID-19-Pandemie im März 2020 rückläufig waren, ab Anfang 2021 und insbesondere ab Anfang 2022 jedoch deutlich angestiegen sind und im Sommer 2022 ihr bisheriges Hoch erreichten. In den letzten Monaten hat sich die Preisdynamik jedoch abgeschwächt, was dazu geführt hat, dass die Inflationsrate im Oktober bei 3 Prozent zu liegen kam, nachdem sie im August noch 3.5 Prozent betragen hatte.

Im Gegenzug ist aber zu beobachten, dass eine immer grössere Anzahl von Gütern von Preissteigerungen betroffen ist. Die Frage ist nun: Welche Bevölkerungsgruppe ist besonders stark von dem ungewöhnlich hohen Preisauftrieb betroffen? Hierfür hat die KOF Preisindizes berechnet, die es erlauben, Inflationsraten für verschiedene Einkommensklassen und Haushaltstypen2 zu berechnen. Diese Indizes reflektieren die unterschiedlichen Konsumgewohnheiten.

Einkommensklassen zu verschiedenen Zeitpunkten am stärksten betroffen

Analysiert man die Teuerung auf der Grundlage verschiedener Einkommensklassen und Haushaltstypen zeigt sich, dass zu Beginn der Covid-19 Pandemie Haushalte mit niedrigem Einkommen am wenigsten von tieferen Preisen profitieren konnten. Derzeit sind es dagegen Haushalte mit hohem Einkommen, die mit den höchsten Inflationsraten konfrontiert sind (siehe Graphik 1). Im Juli 2022 war die Divergenz zwischen den Inflationsraten verschiedener Einkommensklassen besonders ausgeprägt. Namentlich betrug sie für Haushalte der höchsten Einkommensklasse 4.7 Prozent und war damit knapp 1.2 Prozentpunkte höher als die Inflationsrate der Haushalte der niedrigsten Einkommensklasse, welche bei 3.5 Prozent lag.

«Die KOF hat Preisindizes berechnet, die es erlauben, Inflationsraten für verschiedene Einkommensklassen und Haushaltstypen zu berechnen. Diese Indizes reflektieren unterschiedliche Konsumgewohnheiten.»
Alexander Rathke

Die Differenz kann durch verschiedene Entwicklungen erklärt werden. Insbesondere die Preisanstiege beim Luftverkehr, dem Hausrat und der Haushaltsführung sowie beim Kauf von Personenwagen, Motorrädern und Fahrrädern , für welche einkommensstarke Haushalte anteilsmässig mehr ausgeben, dürften zu diesen Unterschieden beigetragen haben. Bei den weniger einkommensstarken Haushalten hingegen sind insbesondere die Preisanstiege bei der Energie und den Nahrungsmitteln Gründe für die Teuerung. Vom Preisanstieg bei den Treibstoffen, ebenfalls einem wichtigen Treiber der Preisentwicklung, sind die mittleren Einkommensklassen am meisten betroffen, die tiefste und höchste Einkommensklasse hingegen weniger stark.

Lag die Differenz der Inflationsraten der einkommensstärksten und -schwächsten Haushalte im Juli noch bei 1.2 Prozentpunkten, schliesst sich diese Lücke aktuell und beträgt nur noch 0.3 Prozentpunkte. Massgeblich verantwortlich für diese Entwicklung dürfte die kürzliche Preissenkung beim Luftverkehr sein , welche die Haushalte mit hohem Einkommen entlastet, sowie die Anstiege der Nahrungsmittel- und Energiepreise, die die Haushalte mit niedrigem Einkommen am stärksten belasten.

Vergrösserte Ansicht: Inflationsraten unterschiedlicher Einkommensklassen

Ähnlich wie bei den Einkommensklassen lässt sich auch bei den unterschiedlichen Haushaltstypen eine heterogene Entwicklung der Inflationsraten erkennen. Auch hier zeigt sich eine Umkehrung der Inflationstendenzen von Beginn der Covid-19-Pandemie im Vergleich zum aktuellen Rand (siehe Graphik 2).

Die höchsten Inflationsraten sind gegenwärtig bei Paaren über 65 Jahren ohne Kinder (3.5 Prozent) zu verzeichnen, bei Alleinstehenden unter 65 Jahren (2.7 Prozent) und Einelterhaushalten (2.6 Prozent) sind die Inflationsraten vergleichsweise tiefer. Die Unterschiede in den Teuerungsraten lassen sich ähnlich wie bei den Einkommensklassen massgeblich durch die unterschiedliche Betroffenheit durch Preisveränderungen beim Luftverkehr, dem Kauf von Personenwagen, Motorrädern und Fahrrädern sowie bei der Energie und bei den Treibstoffen erklären.  

Vergrösserte Ansicht: Inflationsraten unterschiedlicher Haushaltstypen

Wie stark wirkt sich der Preisanstieg auf die Kaufkraft aus?

Zwar waren die Inflationsraten für einkommensstarke Haushalte höher als für Haushalte anderer Einkommensklassen, diese Haushalte verfügen jedoch gleichzeitig über ein vergleichsweise hohes verfügbares Einkommen im Verhältnis zu den Konsumausgaben. Das heisst, dass sich ein gleicher prozentualer Anstieg der Konsumausgaben weniger auf die Kaufkraft gemessen am verfügbaren Einkommen auswirkt. Welchen Effekt dies auf die Inflationsraten prozentual zum verfügbaren Einkommen für die verschiedenen Einkommensklassen und Haushaltstypen hat, ist in den Graphiken 3 und 4 zu erkennen.

Vergrösserte Ansicht: Ausgabenanstieg proezntual zum verfügbaren Einkommen nach Einkommensklassen
Vergrösserte Ansicht: Inflation prozentual zum verfügbaren Einkommen nach Haushaltstypen

So zeigt sich für die Einkommensklassen ein umgekehrtes Bild: Hier ist es die niedrigste Einkommensklasse, welche mit einem Kaufkraftverlust von 3.5 Prozent, im Vergleich zu 1.9 Prozent bei der höchsten Einkommensklasse, am meisten unter der Teuerung leidet (siehe Graphik 3). Die beträchtliche Differenz zwischen den beiden Werten rührt daher, dass die Konsumausgaben bei Haushalten tieferer Einkommensklassen einen um ein Vielfaches höheren Anteil am verfügbaren Einkommen ausmachen als bei Haushalten höherer Einkommensklassen. Anders ausgedrückt, kann ein Haushalt mit höherem Einkommen den Kaufkraftverlust durch eine geringere Anpassung der Sparquote ausgleichen.

Verschiedene Szenarien basierend auf unterstellten Preiserhöhungen deuten zudem auf einen stärkeren zukünftigen Kaufkraftverlust bei Haushalten mit niedrigem Einkommen hin. Unterstellte Preisanstiege von 27 Prozent bei der Elektrizität, von 10 Prozent bei den Nahrungsmittelpreisen sowie ein Kostenanstieg von 6.6 Prozent bei den Prämien der Krankenkassengrundversicherung würden bei ansonsten gleichbleibenden Preisen und Nominaleinkommen zu einem Kaufkraftverlust bei den einkommensschwächsten Haushalten von respektive 0.7, 1.6 und 1.4 Prozentpunkten führen.3 Bei den Haushalten mit den höchsten Einkommen, würde dieser mit 0.3, 0.6 und 0.4 Prozentpunkten hingegen massgeblich tiefer ausfallen. Zu beachten ist hier, dass der Krankenkassenprämienanstieg keine reine Preiserhöhung darstellt, sondern eine Mischung aus Preis- und Mengenänderungen.

Bei den verschiedenen Haushaltstypen fallen die Unterschiede im Kaufkraftverlust geringer aus (siehe Graphik 4). Hier sind es die Paare über 65 ohne Kinder und die Alleinstehenden über 65, welche die höchste Einbusse hinnehmen müssen. Die restlichen Haushaltstypen sehen sich mit ähnlichen Verlusten konfrontiert. Im Gegensatz zum Fall der unterschiedlichen Einkommensklassen, ist das Verhältnis von Konsumausgaben zum verfügbaren Einkommen für die unterschiedlichen Haushaltstypen ähnlich hoch. Dies führt dazu, dass auch die einkommensgewichteten Ausgabenerhöhungen und die Teuerungseffekte verschiedener Szenarien für die unterschiedlichen Haushaltstypen auf vergleichbarem Niveau liegen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Teuerung in der Vergangenheit unterschiedlich auf verschiedene Einkommensklassen und Haushaltstypen ausgewirkt hat. Obwohl die Zusammensetzung der Inflation noch geholfen hat die Kaufkraft der niedrigen Einkommen zu schützen, wurde deren Kaufkraft aber trotzdem am meisten geschmälert, weil sie den höchsten Anteil des verfügbaren Einkommens für den Konsum ausgeben. Auch die bevorstehenden Anstiege bei den Elektrizitätspreisen, der Krankenkassenprämien und etwaige höhere Nahrungsmittelkosten stellen für die tiefsten Einkommen die grösste Zusatzbelastung dar.  

Fussnoten:

  1. Beim Konsumentenpreisindex handelt es sich um einen Laspeyers-Preisindex, bei dem die Haushaltsausgaben der Haushaltsbudgeterhebung (HABE) zur Gewichtung verwendet werden. Bei der Berechnung wird ein fixer Warenkorb seit 2018 verwendet. Im Gegensatz zum LIK, welcher jährliche neu berechnete Gewichte verwendet, weist dieser teils einen höheren Anstieg aus, was typisch ist, wenn Güter, die wegen höherer Preise substituiert werden, im Warenkorb an Gewicht verlieren. Die HABE nach Haushaltsmerkmalen steht jährlich nicht zur Verfügung.
  2. Insgesamt werden zur Berechnung des Inflationsindexes 101 Kategorien der HABE entnommen und den entsprechenden Positionen des Landesindex der Konsumentenpreise (BFS) zugeordnet. Die verwendeten Positionen entsprechen insgesamt knapp 98 Prozent der LIK-Gewichte.
  3. Die Anstiege bei den Krankenkassenprämien und den Elektrizitätspreisen basieren auf durchschnittlichen Erwartungen für 2023. Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise illustriert den Effekt eines Anstiegs ähnlich wie dieser im Euroraum stattgefunden hat.

Kontakt

Dr. Alexander Rathke
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie<br>
  • LEE G 303
  • +41 44 632 86 23

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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