KOF-NZZ-Umfrage: Wirtschaftsforschende lehnen Prämien-Entlastungs- und Kostenbremse-Initiative ab

Die KOF hat gemeinsam mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Ökonominnen und Ökonomen an Schweizer Hochschulen zu den bevorstehenden Abstimmungen vom 9. Juni 2024 im Schweizer Gesundheitswesen befragt und 113 Antworten erhalten. Die Prämien-Entlastungs-Initiative wird von zwei Dritteln der Umfrageteilnehmenden abgelehnt. Bei der Kostenbremse-Initiative sind sich die Ökonominnen und Ökonomen weniger einig, eine knappe Mehrheit lehnt aber auch diese Initiative ab.

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Belastung der Schweizer Haushalte durch die Krankenkassenprämien stetig gestiegen. Vor diesem Hintergrund wurde die Prämien-Entlastungs-Initiative lanciert. Sie sieht vor, dass Versicherte höchstens 10% ihres verfügbaren Einkommens für die Krankenversicherungsprämie ausgeben müssen. Wird diese Grenze überschritten, sollen Bund und Kantone mit Prämienverbilligungen einspringen. In der Ökonomenumfrage vom Mai 2024 wurden Schweizer Wirtschaftswissenschafter und Wirtschaftswissenschafterinnen gefragt, ob diese Initiative aus ökonomischer Sicht überzeugt. Fast 65% der Ökonominnen und Ökonomen, die eine Einschätzung dazu abgegeben haben, beurteilen die Initiative als (eher) negativ, knapp 4% als weder positiv noch negativ (d.h. neutral) und nicht ganz 32% als (eher) positiv.

Massnahmen für Umsetzung der Kostenbremse: Zweifel an Kompetenz der Behörden

Die zweite Initiative, die Kostenbremse-Initiative, setzt dagegen beim Anstieg der Gesundheitskosten an. Die Initiative fordert, dass der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen Massnahmen zur Kostensenkung ergreift, wenn die durchschnittlichen Kosten pro versicherte Person in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung deutlich stärker steigen als die Nominallöhne und die Wirtschaftsleistung. Im Vergleich zu der Prämien-Entlastungs-Initiative sind sich die Wirtschaftswissenschafter und Wirtschaftswissenschafterinnen etwas weniger einig, ob aus ökonomischer Sicht der Initiative zugestimmt werden soll: Während 38% (eher) eine Annahme der Initiative befürworten, sprechen sich 51% (eher) dagegen aus. Die restlichen 11% sind unentschieden. Die ablehnend eingestellte Gruppe ist in ihrer Meinung zudem dezidierter, 24% lehnen die Initiative stark ab, während andererseits lediglich 1% sie stark befürworten.

Da im Initiativtext der Kostenbremse-Initiative keine konkreten Massnahmen zur Kostensenkung definiert sind, müssten die zuständigen Behörden – sobald die Kostenbremse greift – Massnahmen ausarbeiten und umsetzen. Es stellt sich daher die Frage, ob in diesem Fall von den Behörden Massnahmen ergriffen werden, die aus volkswirtschaftlicher Sicht effizient sind. Die befragten Wirtschaftsforschenden sind skeptisch: Knapp 21% haben kein, fast 70% ein eher geringes und 10% ein eher grosses Vertrauen, dass effiziente Massnahmen umgesetzt werden. Kein Teilnehmender schenkt den Behörden vollstes Vertrauen.

Effizienzsteigerung durch mehr Wettbewerb im Arzneimittelmarkt

Massnahmen für die Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen können in verschiedene Richtungen gehen. In der Ökonomenumfrage konnten die Teilnehmenden von einer Liste aus Massnahmen jene drei auswählen, welche sie für am besten geeignet erachten, um die Effizienz im Gesundheitswesen zu erhöhen. Mit einem Anteil von 63% wird die Massnahme «Parallelimporte patentgeschützter Medikamente erlauben» als am effektivsten angesehen. In eine ähnliche Richtung – tiefere Preise durch mehr Wettbewerb – geht auch die am zweithäufigsten gewählte Massnahme: 42% würden empfehlen, das Kartellrecht auf das Gesundheitswesen anzuwenden, um Tarifverhandlungen zwischen den Verbänden zu verbieten.

Überdurchschnittlich oft gewählt wurden ebenfalls Massnahmen, welche die Versicherungsmodelle betreffen: 34% würden die Kostenbeteiligung (Franchise und Selbstbehalt) der Versicherten erhöhen und 32% in der Grundversicherung Managed-Care-Modelle (eingeschränkte Arztwahl, Gatekeeper) als Standard setzen. Eine weniger präferierte Massnahme betreffend der Versicherungsmodelle wäre eine Einführung von Grundversicherungsmodellen mit unterschiedlichen Leistungskatalogen (23%).

Auch bezüglich einer Revision des Spitalwesens gelten einige Massnahmen als geeigneter andere, auch wenn sie insgesamt nicht überdurchschnittlich oft genannt wurden: Gemäss den befragten Ökonominnen und Ökonomen sind die beiden Massnahmen «staatliche (nicht kantonale) Planung des Spitalwesen» (27%) und «Reduktion der Anzahl Spitäler» (23%) den beiden kaum genannten Massnahmen «Reduktion der Anzahl Spezialärzte» (8%) und «öffentliche Spitäler privatisieren beziehungsweise Defizite nicht mehr decken» (7%) vorzuziehen. Die Einführung einer Einheitskasse für die Grundversicherung wird mit einem Anteil von 22% von relativ wenigen Wirtschaftsforschenden als eine der drei effektivsten Massnahmen genannt.

Kopfprämien und einkommensabhängige Prämien fast gleich häufig zur Finanzierung vorgeschlagen

Die obligatorische Krankenversicherung wird im gegenwärtigen System durch Beiträge der Versicherten finanziert, die innerhalb einer Prämienregion und einer Altersgruppe unabhängig vom Einkommen einheitlich sind. Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen sowie Kinder und Jugendliche in Ausbildung haben Anspruch auf Prämienverbilligung. Die obligatorische Krankenversicherung wird demzufolge hauptsächlich über Kopfprämien finanziert, alternative Möglichkeiten wären einkommensabhängige Prämien, risikogerechte Prämien oder eine Finanzierung über allgemeine Steuermittel.

Ein Grossteil der befragten Wirtschaftsforschenden ist der Meinung, dass die Kopfprämie auch in Zukunft die Hauptfinanzierungsquelle bleiben soll. 34% der Befragten wählten diese Option. Mit einem Anteil von 31% halten aber auch viele Ökonominnen und Ökonomen einkommensabhängige Prämien für die bevorzugte Variante. Weniger beliebt sind dagegen eine Finanzierung durch risikogerechte Prämien (21%) und eine Finanzierung über allgemeine Steuermittel (8%). 6% bevorzugen anderweitige Systeme.

KOF-NZZ-Ökonomenumfrage

Die KOF-NZZ-Ökonomenumfrage behandelt für die Schweiz wirtschaftspolitisch relevante Themen und ist ein Instrument, um die Ansichten der akademisch forschenden Ökonomen und Ökonominnen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Medienpartner der KOF bei der Erstellung und Interpretation der Ökonomenumfrage ist die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Im April und Mai führte die KOF gemeinsam mit der NZZ eine Umfrage zur bevorstehenden Abstimmung zu der Prämien-Entlastungs- und der Kostenbremse-Initiative durch. Die Umfrage startete am 30.04.2024 und endete am 14.05.2024. 814 Ökonomen und Ökonominnen wurden angeschrieben. Es gingen Antworten von 113 Ökonominnen und Ökonomen aus 17 Institutionen ein.  

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