Die Lohnentwicklung in der Schweiz: Die Löhne stagnieren, die Glasdecke bleibt

Die Reallöhne in der Schweiz sind in den letzten Jahren beachtlich gestiegen – trotz einer historisch schwachen Nominallohnentwicklung. In den kommenden zwei Jahren könnte das Reallohnwachstum hingegen ausbleiben. Weiter bestehen bleiben die grossen und problematischen Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern.

Glasdecke
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Historisch tiefes Nominallohnwachstum 2016

In den letzten Jahren haben die Reallöhne in der Schweiz beachtlich zugelegt. Letztes Jahr betrug der Anstieg der Reallöhne 1.1%. Das lag aber nicht an hohen Nominallohnzuwächsen. Gemäss Schweizerischem Lohnindex (SLI) war das Wachstum der Nominallöhne zuletzt gar auf ein historisch tiefes Niveau gefallen. Letztes Jahr weist das Bundesamt für Statistik (BFS) für die Nominallöhne eine Wachstumsrate von 0.7% aus. Die aktuellsten Zahlen des BFS für das laufende Jahr deuten auf eine noch tiefere Wachstumsrate hin (+0.3%). In der gesamten fast achtzigjährigen Historie des SLI gab es erst ein Jahr, in welchem die Nominallohnwachstumsrate nur 0.3% betrug. Dies war im Jahr 1999, als sich die Schweiz allmählich aus einer langen Stagnationsphase zu erholen begann.

Das starke Wachstum der Reallöhne in der Schweiz lag vielmehr am Rückgang der Konsumentenpreise. Dieser Preisrückgang erhöhte die Kaufkraft der Löhne substanziell. Besonders stark war das Reallohnwachstum gemäss BFS im Grosshandel (+2.2%), im Finanz- und Versicherungswesen (+2.1%) und in der chemischen und pharmazeutischen Industrie (+1.9%). Deutlich tiefer war das Reallohnwachstum hingegen bei der Herstellung von Nahrungsmitteln und Tabakerzeugnissen (0.3%) und gar negativ bei der Herstellung von Holzwaren, Papier und Druckerzeugnissen (-0.3%).

Löhne der Frauen holen etwas auf …

Zudem setzte sich ein Trend fort, der in den letzten Jahren oft beobachtet wurde: Die Löhne der Frauen wuchsen stärker als jene der Männer. Letztes Jahr betrug das Reallohnwachstum der Frauen gemäss SLI 0.8%, jenes der Männer bloss 0.6%. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Frauenlöhne in den letzten 20 Jahren beträgt 1.3%, jene der Männer 1.1%. Ein ähnliches Bild liefern die Zahlen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung, der umfassendsten Lohnstatistik in der Schweiz. Diese deckt gut 40% aller Beschäftigten in der Schweiz ab. Betrug die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern gemäss Lohnstrukturerhebung 2008 noch 16.6%, lag sie 2014 bei rund 12.5%.

… trotzdem bleibt die Lohnungleichheit bestehen

Trotzdem ist der geschlechtsspezifische Lohnunterschied von 12.5% im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch. In Zahlen ausgedrückt: 2014 betrug der Medianlohn eines vollzeitbeschäftigten Mannes 6751 Franken. Die Hälfte der Männer verdiente also mehr als 6751 Franken. Die andere Hälfte weniger. Bei den Frauen betrug der Medianlohn 5907 Franken – eine Differenz von 844 Franken pro Monat oder rund 10 000 Franken pro Jahr. In der Privatwirtschaft war die Lohndifferenz mit 15% zudem höher als im öffentlichen Sektor. Daraus resultieren nicht nur beachtliche Kaufkraftunterschiede. Die Unterschiede in der Bezahlung können auch dazu beitragen, dass Frauen weniger am Arbeitsmarkt teilnehmen als Männer, gerade wenn in einem Haushalt auch Betreuungs- und Hausarbeiten anfallen. Denn es kann ökonomisch Sinn machen, dass selbst bei nur geringen Lohnunterschieden jener Elternteil die Erwerbsarbeit übernimmt, der einen höheren Lohn aufweist. Der andere Elternteil spezialisiert sich hingegen in Betreuungs- und Haushaltsarbeit.

Rund 60% der Lohndifferenz kann «erklärt» werden

Ein Teil der geschlechtsspezifischen Lohndifferenz von 12.5% kommt freilich zustande, weil Frauen in anderen Berufen arbeiten als Männer, im Schnitt weniger Berufserfahrung haben und einen anderen Bildungsrucksack mitbringen. Auch die berufliche Stellung – ob man eine Kaderfunktion ausübt oder nicht – trägt zur Erklärung der Lohnunterschiede bei. Berücksichtigt man alle Faktoren, welche in der Lohnstrukturerhebung enthalten sind und die die Lohnhöhe objektiv beeinflussen, können rund 60% des Lohnunterschieds zwischen den Geschlechtern gemäss Berechnungen des BFS «erklärt» werden. Nur 5 Prozentpunkte der ursprünglichen Lohndifferenz von 12.5% bleiben «unerklärt». Das Zerlegen des Lohnunterschieds in eine erklärte und eine unerklärte Differenz ist interessant. Im Optimalfall hilft sie, zu verstehen, ob Frauen und Männer im gleichen Job gleich viel verdienen.

Glass-Ceiling

Doch die Zerlegung blendet einen wesentlichen Bestandteil der Benachteiligung von Frauen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt aus: Nämlich, dass Frauen und Männer nicht die gleichen Jobs ausüben. Ein Teil des Lohnunterschieds zwischen den Geschlechtern lässt sich beispielsweise damit erklären, dass Frauen keine Managersaläre beziehen. Doch das ist nicht die Erklärung, sondern Teil des Problems: Frauen stossen nicht in hohe Managementpositionen vor, selbst wenn sie gleich gute Qualifikationen aufweisen wie ihre männlichen Kollegen. Dies ist der Effekt der sogenannten Gläsernen Decke (Glass Ceiling Effect). In der Schweiz ist die Gläserne Decke gemäss dem Glass-Ceiling-Index der Zeitschrift «Economist» besonders ausgeprägt (siehe G 3). Nur gerade drei (Südkorea, Japan und die Türkei) der 29 berücksichtigten Länder haben einen höheren Index als die Schweiz. Die schlechte Platzierung der Schweiz liegt unter anderem an den sehr hohen Kinderbetreuungskosten in der Schweiz und der im internationalen Vergleich sehr tiefen Vertretung von Frauen in Verwaltungsräten.

Stagnation der Reallöhne

Das Wachstum der Reallöhne überstieg in den letzten Jahren meist das gesamtwirtschaftliche Wachstum der Arbeitsproduktivität. Damit einher ging ein – im internationalen Vergleich bemerkenswerter – Anstieg der Lohnquote am Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP). Die Kehrseite dieser aus Verteilungsüberlegungen positiven Entwicklung (Löhne sind weniger ungleich verteilt als Vermögen) sind allerdings sinkende Margen der Unternehmen. Schuld an der gesunkenen Profitabilität der Unternehmen war nicht zuletzt der Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit, der durch die Frankenaufwertung verursacht wurde. Die tiefen Margen schränken den Raum für Lohnerhöhungen ein. Viele Betriebe dürften deshalb im aktuellen Lohnherbst versuchen, das nominale Lohnwachstum gering zu halten. Wir rechnen damit, dass die nominalen Löhne gemäss Schweizerischem Lohnindex (SLI) in diesem Jahr nur um 0.3% wachsen werden (siehe G 4). Aufgrund der verbesserten konjunkturellen Aussichten resultiert 2018 ein leicht stärkeres Nominallohnwachstum von 0.6%. Doch dieses Nominallohnwachstum dürfte von den leicht wachsenden Preisen weggefressen werden. Die Reallöhne werden sowohl 2017 und 2018 praktisch stagnieren.

Nominallöhne

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Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
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