Aufstieg der Separatisten: Der Einfluss regionaler Ressourcen

Mit dem bevorstehenden Brexit ist das Thema Unabhängigkeit in Schottland wieder auf die politische Tagesordnung zurückgekehrt. Eine vorliegende Publikation untersucht, welche ökonomischen Faktoren separatistische Tendenzen verstärken. Regionaler Ressourcenreichtum spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Analyse zeigt insbesondere einen kausalen Einfluss von Ölfunden auf den Wahlerfolg der schottischen Separatisten.

Brexit

Derzeit gibt es kaum einen Bereich, der nicht von der Coronavirus-Pandemie betroffen zu sein scheint. Dies zeigt sich auch in Schottland: Das als besser wahrgenommene Corona-Management der schottischen Regionalregierung ist der Zustimmung zur potenziellen Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich offenbar zuträglich. In aktuellen Umfragen gibt es in Schottland momentan eine klare Mehrheit für die Abspaltung. Wichtiger als die Corona-Pandemie ist in diesem Zusammenhang allerdings der bevorstehende Brexit; eine grosse Mehrheit in Schottland lehnt ihn ab. Dass es nach jetzigem Stand keine Einigung für ein Austrittsabkommen und die reale Gefahr eines harten Brexits gibt, ist Wasser auf die Mühlen der schottischen Nationalisten, die seit jeher vor den ökonomischen Folgen des Brexits für die schottische Wirtschaft gewarnt haben. Sie würden Schottland lieber in der EU und ausserhalb des Vereinigten Königreichs sehen.

Hinter solchen Überzeugungen steckt die Abwägung einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren und Präferenzen. Wie die politökonomische Forschung zeigt, wägen Regionen die Vorteile, Teil einer grösseren Nation zu sein, gegenüber den Nachteilen ab. Bestehende Modelle konzentrierten sich vor allem auf Aspekte wie Skalenvorteile, Zugänge zu Märkten, unterschiedliche lokale Präferenzen und kulturelle Faktoren. Eine aktuelle Veröffentlichung von zwei Forschern der KOF und der Universität Zürich im «Journal of Public Economics» zeigt nun, dass eine wichtige Ursache für die Stärke demokratischer separatistischer Bewegungen bisher zu wenig Beachtung fand: regionaler Ressourcenreichtum.

BIP-Anteil korreliert mit Stimmenzuwachs von Separatisten

Entscheidend ist die relative Verteilung aller regionaler Ressourcen, die Einkünfte für die Staatskasse generieren. Die Definition von Ressourcen ist dabei nicht auf Bodenschätze beschränkt: In Istrien (Kroatien) setzen Separatisten beispielsweise auf den Wohlstand als Tourismusregion mit zahlreichen Stränden. Gut beobachten lässt sich der Einfluss des Ressourcenreichtums auf separatistische Bewegungen, wenn sich die relative wirtschaftliche Stärke einer Region verändert. So profitieren die in Wahlen zunehmend erfolgreichen Unabhängigkeitsbefürworter im flämischen Landesteil Belgiens von der wachsenden wirtschaftlichen Stärke Flanderns im internationalen Handel, während der Altindustrieregion Wallonien der Strukturwandel im Zuge der Globalisierung zu schaffen macht.

Betrachtet man den Zusammenhang zwischen dem Anteil einer Region am Bruttoinlandprodukt (BIP) des ganzen Landes und dem Wahlerfolg separatistischer Parteien empirisch, ergibt sich ein deutliches Bild: Ein 10-prozentiger Anstieg des regionalen Wohlstands ist verbunden mit einem Stimmenzuwachs von rund 3%. Das verdeutlicht zwar die Bedeutung ökonomischer Faktoren im Zusammenhang mit Sezessionsbewegungen, liefert aber noch keinen überzeugenden Nachweis eines Kausalzusammenhangs.

Natürliches Experiment: Ölfunde und der Erfolg der schottischen Separatisten

Diesen Nachweis erbringt die vorliegende Studie durch das Ausnutzen eines natürlichen Experiments im Vereinigten Königreich. Sowohl in Schottland als auch in Wales gibt es seit Beginn des 20. Jahrhunderts vergleichbare separatistische Parteien, die schottische SNP und die walisische Plaid Cymru. Bis Ende der 1960er Jahre hatten beide Parteien kaum ökonomische Argumente für die Unabhängigkeit ihrer Regionen und geringen Erfolg bei Wahlen. Das änderte sich 1970, als entgegen jeder Erwartung Öl vor der schottischen Küste gefunden wurde. Auch die in der Folgezeit entdeckten Ölfelder fielen in den maritimen Sektor, der zu einem unabhängigen Schottland gehören würde (siehe G 7).

Verteilung der britischen Ölfelder im maritimen Sektor Schottlands

Das zufällige Timing einzelner Ölfunde und die Tatsache, dass wenige riesige Ölfelder einen Grossteil der Einnahmen im Vereinigten Königreich ausmachen, lässt sich als natürliches Experiment nutzen. Mittels Differenz-in-Differenzen-Schätzung ermitteln die Autoren den Einfluss der Ölfunde auf die Stimmenanteile der Separatisten. Darüber hinaus nutzen sie exogene Veränderungen im Weltmarktpreis für Öl als zusätzliche Variation für den Wert der gefundenen Ressourcen.  

Ölfunde und Wahlergebnisse der schottischen SNP und walisischen Plaid Cymru

Die Ergebnisse zeigen, dass der Stimmenanteil der SNP nach einem grossen Ölfund um etwa 2% ansteigt (siehe G 8). Der Effekt wird umso stärker, je höher der Ölpreis ist und damit der Wert des gefundenen Öls. Eine einfache Überschlagsrechnung ergibt, dass die Ölfunde 12-16 Prozentpunkte zum Stimmenzuwachs und Aufstieg der schottischen Separatisten in den 1970er Jahren beigetragen haben.

Dabei reagierten die Wählerinnen und Wähler auf Ölfunde, nicht aber auf tatsächliche Fördermengen und reale Einnahmen. Das lässt vermuten, dass öffentlich sichtbare Ereignisse, die für jeden leicht verständlich sind, separatistischen Bewegungen eher entgegenkommen als kompliziertere Sachverhalte. Während kulturelle Faktoren unbestritten eine wichtige Basis für die Existenz separatistischer Bewegungen bilden, zeigen diese Forschungsergebnisse deutlich: Um Erfolg zu haben, brauchen Separatisten gute ökonomische Argumente für die Unabhängigkeit ihrer Region.

Implikationen für die gegenwärtige Situation in Europa

Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass die EU-Affinität in Regionen mit derzeit starken Unabhängigkeitsbewegungen wie Schottland und Katalonien hoch ist. Durch einen Verbleib in der Europäischen Union würden sie die Vorzüge behalten, Teil einer grösseren wirtschaftlichen Einheit mit wenigen Handelshemmnissen zu sein. Gleichzeitig könnten sie sich von der – aus ihrer Sicht – politischen Bevormundung der Nationalstaaten lösen. Die schottischen Separatisten liebäugeln daher im Fall der Unabhängigkeit mit einem sofortigen Wiedereintritt in die EU.

Solch ein Schnellverfahren stünde allerdings im Widerspruch zur strategischen Positionierung anderer Nationalregierungen. Staaten wie Spanien haben ein Interesse daran, regionale Abspaltungen unattraktiv zu halten. Solange der externe SeiteEinfluss nationaler Interessen auf die EU-Kommission und die Rolle der Nationalstaaten als Veto-Spieler in der Europäischen Union so stark bleiben wie bisher, könnte die schottische Regierung nicht damit rechnen, dass ihre Avancen für einen schnellen Wiedereintritt in die EU von offizieller Seite erwidert werden – jedenfalls nicht ohne weitere lange Verhandlungsnächte in Brüssel.

Literatur

Gehring, Kai & Stephan A. Schneider (2020): Regional Resources and Democratic Secessionism. Journal of Public Economics 181. externe Seitehttps://doi.org/10.1016/j.jpubeco.2019.104073

VoxEU: externe Seitehttps://voxeu.org/article/separatism-and-role-regional-resources?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter
 

Kontakt

Stephan Schneider
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Professur f. Wirtschaftsforschung
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