Was die Mobilität der Schweizer Bevölkerung während der zweiten Corona-Welle verrät

Social Distancing ist für die Eindämmung der Corona-Pandemie von zentraler Bedeutung. Die Mobilität der Bevölkerung liefert wichtige Hinweise darauf, ob die Massnahmen und Empfehlungen befolgt werden. Eine Analyse der Mobilitätsdaten in der Schweiz zeigt deutliche Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Welle. Ausserdem gibt es Indizien, dass sich Mobilität und Infektionszahlen gegenseitig beeinflussen.

Mobilität

Das Social Distancing ist ein Schlüsselfaktor, um die Ausbreitung der Corona-Pandemie einzudämmen. Die physische Mobilität der Menschen liefert zwar keine perfekte, aber eine gute Annäherung für das Ausmass an Social Distancing.

Die KOF analysiert deshalb eine Vielzahl von Mobilitätsdaten – unter anderem das Verkehrsaufkommen auf den Schweizer Autobahnen, die Anzahl An-/Abflüge am Flughafen Zürich, die Zugfrequenzen am Hauptbahnhof Zürich oder schweizweite Mobilitätsdaten von Google basierend auf der Auswertung von Smartphones (Google Mobility Report, 2020). Eine weitere wichtige Datenquelle stellt das Mobilitäts-Monitoring COVID-19 der Firma intervista dar (intervista, 2020). Diese publiziert basierend auf Smartphone-Bewegungsdaten an jedem Wochentag Mobilitätsdaten für ein repräsentatives Sample der Schweizer Bevölkerung.1

Wie entwickelt sich die Mobilität während der zweiten Welle?

Die Hochfrequenz-Mobilitätsdaten aus den verschiedenen Quellen fluktuieren oft stark, bewegen sich teilweise sehr unterschiedlich und weisen verschiedene Saisonmuster auf. Um dennoch ein gemeinsames Muster aus den Daten zu extrahieren, konstruieren KOF-Forschende aus der Vielzahl an vorliegenden Daten einen sogenannten Mobilitätsindikator (Eckert und Mikosch 2020). Dieser KOF Mobilitätsindikator wird der Öffentlichkeit seit März 2020 tagesaktuell im externe SeiteKOF High Frequency Economic Monitoring Dashboard (2020) zur Verfügung gestellt (siehe G 1). Der Indikator zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung ihre Mobilität bereits vor den Ladenschliessungen Mitte März 2020, der generellen Umstellung auf Homeoffice und dem Appell, falls möglich zu Hause zu bleiben, deutlich reduziert hatte. Ab Ende April erholte sich die Mobilität dann allmählich.  

KOF Mobilitätsindikator und COVID-19-Todesfälle

Das oben beschriebene Muster wiederholt sich nun auch während der zweiten Welle.2 Dies zeigen sowohl der umfassende KOF Mobilitätsindikator als auch die täglich zurückgelegte Kilometer-Distanz im Median eines mit Smartphone-Daten getrackten, repräsentativen Samples der Schweizer Bevölkerung (siehe G 2). Die Mobilität sank mit den steigenden Fallzahlen ab September – allerdings bis anhin deutlich weniger stark und langsamer als während der ersten Welle. Ende März lag die zurückgelegte Mediandistanz bei Werten knapp über 5 Kilometer pro Tag, Anfang November waren es rund 14 Kilometer pro Tag. Seit Anfang November sinkt die Mobilität nicht weiter. Vielmehr steigt sie – wie bereits in der ersten Welle – im Zuge sinkender Corona-Fallzahlen tendenziell wieder leicht an.

Täglich zurückgelegte Mediandistanz der Schweizer Bevölkerung

Für den Unterschied des Mobilitätsniveaus zwischen der ersten und der zweiten Welle dürfte es mehrere Gründe geben: Unter anderem gab es im Gegensatz zum März bis dato noch keinen scharfen Lockdown. Die Läden bleiben in der Regel offen, entsprechend pendeln Angestellte auch weiterhin zur Arbeit. Ausserdem waren die Appelle seitens der Politik, wieder auf Homeoffice umzustellen, weniger eindringlich als während der ersten Welle. Entsprechend ist die Umstellung auf Homeoffice derzeit deutlich weniger ausgeprägt als im Frühjahr (siehe G 3).3

Täglicher Pendleranteil der erwerbstägiten oder auszubildenden Schweizer Bevölkerung

Gibt es Unterschiede zwischen den Sprachregionen?

Hinsichtlich der Handhabung der Corona-Krise wird derzeit viel über den Röstigraben zwischen der Romandie und der Deutschschweiz gesprochen. Auffällig ist, dass sich hinsichtlich der Mobilität keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Sprachregionen zeigen, sondern ein starker Gleichlauf (siehe G 4). Die Zeitreihe für italienisch sprechende Personen basiert allerdings nur auf 121 getrackten Personen und weist daher eine höhere Schwankungsbreite auf als jene der anderen beiden Sprachregionen.  

Täglich zurückgelegte Mediandistanz der Bevölkerung in den Sprachregionen der Schweiz

Gibt es Unterschiede zwischen Transportkategorien?

Hinsichtlich verschiedener Transportmittel steht besonders der öffentliche Verkehr im Fokus, da hier teilweise eine erhöhte Ansteckungsgefahr vermutet wird. Grafik G 5 zeigt die täglich zurückgelegten Kilometer-Distanzen (Mittelwerte, geglättet und für wöchentliche Saisonalität bereinigt) der Schweizer Bevölkerung für einzelne Transportkategorien. Nicht überraschend spielt das Auto im Vergleich zu anderen Kategorien eine dominante Rolle. Auffällig ist, dass die Mobilität in der Kategorie Auto und Motorrad über die Sommermonate hinweg ein höheres Niveau aufwies als vor Ausbruch der Pandemie im Januar und Februar 2020, der öffentliche Verkehr das Niveau zu Jahresbeginn dagegen nie mehr erreichte.4

Täglich zurückgelegte Mittelwert-Distanz der Schweizer Bevölkerung nach Transportkategorien

Wie ist der Zusammenhang zwischen Mobilität und Corona-Infektionen?

Die Grafik 6 plottet den Zusammenhang zwischen der Mobilität und der effektiven Reproduktionszahl R über die Zeit hinweg. Die Mobilität wird anhand der täglichen Mediandistanz der Schweizer Bevölkerung gemessen. Die effektive Reproduktionszahl wird basierend auf bestätigten Fällen bestimmt (Datenquelle: Scrire et al., 2020). Die durchgezogene Linie stellt den 7-Tage-Mittelwert dar. Mit Ausnahme der Phase von Juli bis September zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen beiden Grössen: Wenn die eine Grösse sinkt (steigt), dann sinkt (steigt) auch die andere Grösse.

Regressiert man die tägliche effektive Reproduktionszahl R auf die Mobilität in den Tagen zuvor (1 bis 14 Tage Verzögerung), so ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang. Auch zwischen der Anzahl an Neuinfektionen (anstelle von R) und der Mobilität lässt sich ein signifikanter, verzögerter Zusammenhang aufzeigen. Dieser sollte zunächst allerdings nur korrelativ und nicht kausal interpretiert werden. Eine weiterführende Granger-Kausalitäts-Analyse legt nahe, dass die Kausalität in beide Richtungen geht. Einerseits geht die Mobilität zurück, weil die Menschen angesichts höherer Infektionsraten vorsichtiger agieren und weil die Gegenmassnahmen der Politik zu einer Einschränkung der Mobilität führen. Andererseits steigt mit einem Rückgang der Mobilität der Grad an Social Distancing in der Bevölkerung, was die Verbreitung des Virus bremst.

Zusammenhang zwischen der Mobilität und der Reproduktionszahl

Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden Sie auf dem Blog externe SeiteÖkonomenstimme.

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1) Die Daten werden im Auftrag von StatistikZH, der Swiss National COVID-19 Science Task Force und der KOF publiziert.

2) Bei der Grafik 1 ist zu beachten, dass die Todesfälle um 21 Tage in die Vergangenheit verschoben sind, da die täglichen Todesfälle hier als Proxy für die täglichen Corona-Neuinfektionen verwendet werden und die Dauer zwischen Infektionszeitpunkt und Todeszeitpunkt durchschnittlich 21 Tage beträgt. Entsprechend liegen für den aktuellen Rand keine approximierten Werte für die Neuinfektionen vor.

3) Die in Grafik 3 dargestellten Pendleranteile geben nur indirekt Auskunft über den Grad an Homeoffice-Tätigkeit. Menschen, die gemäss der vorgenommenen Einteilung nicht pendeln, sind neben Personen im Homeoffice etwa solche ohne fixen Arbeitsplatz ausserhalb ihres Zuhauses (z. B. Taxi- und Busfahrer sowie Landwirte) und Personen, die wegen Kurzarbeit, Urlaub, Krankheit u. a. zu Hause bleiben.

4) Es ist nicht auszuschliessen, dass hier jahreszeitliche Effekte eine Rolle spielen, für die auf Basis der vorliegenden Daten nicht kontrolliert werden kann.

Referenzen

Eckert F. und Mikosch H. (2020): Mobility and Sales Activity During the Corona Crisis, Swiss Journal of Economics and Statistics, 156(9), externe Seitehttps://doi.org/10.1186/s41937-020-00055-9.

Google (2020): COVID-19 Community Mobility Reports, externe Seitehttps://www.google.com/covid19/mobility/, Google.

intervista (2020): Mobilitäts-Monitoring COVID-19 im Auftrag des Statistischen Amt des Kantons Zürich, der Swiss National COVID-19 Science Task Force und der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, externe Seitehttps://www.intervista.ch/mobilitaets-monitoring-covid-19/, Bern/Zürich: intervista AG.

KOF High Frequency Economic Monitoring Dashboard (2020): externe Seitehttps://kofdata.netlify.app, KOF Swiss Economic Institute, ETH Zurich.

Scrire, J., Huisman J. S. , Angst D., Neher R., Leventhal G., Bonhoeffer S., und Stadler T. (2020): https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re/, Zurich: ETH Zurich.

StatistikZH (2020): Gesellschaftsmonitoring COVID19, externe Seitehttps://www.zh.ch/de/news-uebersicht/mitteilungen/2020/politik-staat/statistik/durch-die-krise-begleiten---gesellschaftsmonitoring-covid19-.html, Zürich: Statisches Amt des Kantons Zürich.

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