«Vor dem Mittagessen und Feierabend wird stärker diskriminiert»

Mit einer neuen Methode haben Forscher der KOF und der ETH erstmals untersucht, wie es auf Online-Stellenbörsen zu Diskriminierung kommt. Sie können zeigen, dass die Benachteiligung aufgrund der Herkunft weitverbreitet ist – und dass die Tageszeit eine relevante Rolle spielt. Verstärken Online-Plattformen also die Diskriminierung bei der Stellensuche oder können sie im Gegenteil genutzt werden, um mehr Fairness herzustellen? Mitautor Daniel Kopp zu den wichtigsten Erkenntnissen.

Bewerbung

Job-Room ist eine der grössten Online-Stellenbörsen in der Schweiz. Mehr als 150 000 Jobsuchende haben hier ein Profil angelegt. Firmen können auf der Plattform nach Personal für offene Stellen suchen, sich durch die Profile der Jobsuchenden klicken und sie direkt kontaktieren. Wie gehen sie dabei vor? Welche Profile schauen sie sich an, wie lange verweilen sie auf den Profilen – und welche Kandidatinnen und Kandidaten wollen sie am Ende kennenlernen? Um diese Fragen zu beantworten, haben die KOF-Forscher Daniel Kopp und Michael Siegenthaler mit Dominik Hangartner vom Immigration Policy Lab der ETH zusammengespannt und die Klickdaten auf der Plattform analysiert.

Herr Kopp, Online-Plattformen werden bei der Rekrutierung von Personal immer wichtiger. Sie haben untersucht, ob es dabei zu Diskriminierung kommt. Was haben Sie herausgefunden?

Diskriminierung – etwa aufgrund der Herkunft – ist relativ weitverbreitet. Im Durchschnitt werden ausländische Kandidatinnen und Kandidaten auf der Plattform von den Rekrutierenden 6.5% weniger häufig kontaktiert als Schweizer mit ansonsten identischen Charakteristika. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen sind ausserdem sehr gross: Jobsuchende aus Asien und Subsahara-Afrika werden 18% weniger häufig kontaktiert, solche aus dem Balkan oder östlichen Ländern 13% weniger häufig (siehe G 1). Diese Resultate bestätigen frühere Forschungsarbeiten. Wir konnten mit unserer Methode aber noch weiter gehen.

Inwiefern?

Bisher wurde Diskriminierung bei der Stellensuche vor allem mit sogenannten Korrespondenzstudien untersucht. Dabei verschicken Forschende fiktive Lebensläufe an Personalverantwortliche, die identisch sind – mit Ausnahme eines Charakteristikums, etwa der Herkunft. Sie erfassen dann, welche Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Bei dieser Methode muss man sich allerdings aus Ressourcengründen auf eine kleine Zahl von Bewerbungen und wenige Berufe beschränken. Mit unserer Methode können wir hingegen Diskriminierung in vielen verschiedenen Berufen untersuchen und zudem den ganzen Suchprozess auf der Plattform analysieren: Wir wissen, welche Kandidaten einer Personalverantwortlichen angezeigt werden, wann und wie lange sie ein Profil besucht und ob sie Kontakt aufnehmen will – wir beobachten also Millionen von Entscheidungen. So können wir ganz neue Erkenntnisse gewinnen.

Effekt der Ethnizität

Welche Erkenntnisse überraschten Sie am meisten?

Wir konnten etwa zeigen, dass die Diskriminierung über den Tag hinweg variiert. Vor dem Mittagessen und Feierabend schauen die Rekrutierenden die Profile weniger lang an – und diskriminieren stärker. Das heisst, derselbe Mensch trifft je nach Tageszeit eine andere Entscheidung (siehe G 2). Dieses Resultat spricht dafür, dass auch unbewusste Mechanismen – etwa Stereotypen in Bezug auf Minderheiten – zu Diskriminierung beitragen. Sie spielen insbesondere dann eine Rolle, wenn wir erschöpft sind und Feierabend machen wollen.

Diskriminierung während des Arbeitstages

Welche langfristigen Folgen hat diese Art der Diskriminierung?

Eine direkte Konsequenz ist, dass Ausländer unter Umständen länger arbeitslos bleiben als Schweizer mit gleichen Qualifikationen. Tatsächlich finden wir eine längere Arbeitslosigkeit bei Stellensuchenden, die einer ethnischen Minderheit angehören. Unsere Resultate legen den Schluss nahe, dass die Diskriminierung ein wesentlicher Grund dafür ist. Es ist zu erwarten, dass sich die längere Arbeitslosendauer auch in anderen Arbeitsmarkt-Zielgrössen niederschlägt. Wir wissen beispielsweise aus früheren Studien, dass eine längere Arbeitslosigkeit danach zu tieferen Löhnen führt.

Die Studie zeigt, dass beide Geschlechter bei der Jobsuche benachteiligt werden: Männer in typischen Frauenberufen, Frauen in typischen Männerberufen. Weshalb ist das immer noch so?

Diese Resultate legen nahe, dass geschlechtsspezifische Stereotype auch bei den untersuchten Rekrutierenden verankert sind: Dass also nach wie vor die Ansicht besteht, dass Frauen für gewisse Berufe besser geeignet sind als Männer und umgekehrt. Dies führt dazu, dass die berufsspezifische Segregation bestehen bleibt oder sogar noch verstärkt wird. Hat ein Mann zum Beispiel Schwierigkeiten, in einem «typischen Frauenberuf» eine Stelle zu finden – etwa in der Krankenpflege oder Kinderbetreuung –, gibt er die Jobsuche in diesem Bereich unter Umständen wieder auf.

Online-Plattformen wie Job-Room werden immer häufiger genutzt. Wird also auch die Diskriminierung bei der Personalsuche zunehmen?

Davon gehen wir nicht aus. Wir haben keine Evidenz, dass auf solchen Plattformen stärker diskriminiert wird als in anderen Rekrutierungsprozessen. Das zeigen etwa die anfangs erwähnten Korrespondenzstudien. Diskriminierung ist vielmehr ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, das sich im gesamten Arbeitsmarkt widerspiegelt. Bei Online-Portalen können wir aber die vorhandenen Daten nutzen, um solche Benachteiligungen detailliert zu untersuchen.

Können die Portale also im Gegenteil dazu führen, dass die Diskriminierung abnimmt?

Das ist durchaus denkbar. Portale wie Job-Room sind nicht nur ein geeignetes Laboratorium, um Diskriminierung zu erfassen, sondern bieten auch die Möglichkeit, verschiedene Gegenmassnahmen zu testen. Es gibt mehrere Ebenen, auf denen Diskriminierung bekämpft werden kann. Wir fokussieren darauf, wie der Bewerbungsprozess fairer und transparenter gestaltet werden kann. Charakteristiken mit einem starken Bezug zur Leistungsfähigkeit – etwa Ausbildung oder Berufserfahrung – könnten prominenter dargestellt werden als solche, die nur Rückschlüsse auf eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit zulassen – etwa Name, Geschlecht oder Herkunft. Solche Änderungen sind in allen Rekrutierungskanälen möglich, lassen sich auf Online-Plattformen aber besonders einfach umsetzen. Wenn dadurch die qualifizierteste Person zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird, fördert das nicht nur die Chancengleichheit, auch die Rekrutierenden profitieren.

Welche Bedeutung haben Ihre Ergebnisse für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft als Ganzes?

Ich persönlich denke, die Resultate legen nahe, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse auch bei Entscheidungen auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle spielen. Gleichzeitig weisen unsere Resultate zur geschlechtsbedingten Diskriminierung darauf hin, dass Segregation auf dem Arbeitsmarkt auch gesellschaftliche Stereotypen verfestigen kann. Wirtschaftliche Entscheidungen haben daher gesellschaftliche Konsequenzen und gesellschaftliche Verhältnisse Einfluss auf die Wirtschaft.

Was bedeutet die Publikation Ihrer Arbeit in der Fachzeitschrift «Nature»?

«Nature» ist eine der renommiertesten Fachzeitschriften weltweit und steht für qualitativ hochwertige Forschung, die für viele Fachgebiete Relevanz hat. Studien, die dort publiziert werden, erreichen oft grosse Visibilität – in der Forschungsgemeinschaft, aber auch darüber hinaus. Wir hoffen deshalb, dass wir mit unserer Forschung möglichst viele Menschen erreichen können. Und dass Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft unsere Erkenntnisse berücksichtigen.

Die ausführliche Publikation in «Nature» finden Sie externe Seite hier

Kontakte

Dr. Daniel Kopp
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 218
  • +41 44 633 87 15

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
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Prof. Dr. Dominik Hangartner
Ordentlicher Professor am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften
  • LEH D 4
  • +41 44 632 02 67

Professur für Politikanalyse
Leonhardshalde 21
8001 Zürich
Schweiz

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