Digitaler Graben? Eine Analyse der Nutzungsdaten der Online-Jobbörse Job-Room

In einer Studie für das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat die KOF die Nutzung der Online-Jobbörse Job-Room.ch im Kontext der Einführung der Stellenmeldepflicht studiert. Dabei zeigt sich, dass Personen ohne IT-Kenntnisse, mit wenig Kenntnissen der lokalen Sprache oder mit tiefer Bildung im Nachteil sind.

Die Digitalisierung verändert unausweichlich, wie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Firmen zusammenfinden. Ein zentrales Element dabei sind Online-Jobbörsen, eine Art Dating-Plattform, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach freien Stellen und Firmen nach geeigneten Kandidatinnen suchen können. Ökonomen und Ökonominnen hegen hohe Erwartungen an solche Online-Jobbörsen. Sie versprechen sich, dass diese Stellensuchenden helfen können, im unübersichtlichen Stellenmarkt leichter und schneller diejenigen Jobs zu finden, die am besten zu ihnen passen. Eine bessere Passgenauigkeit von Stellensuchenden zu Jobs wiederum könnte die Suchdauer reduzieren, die Erwerbslosigkeit senken und sogar die Produktivität von Firmen steigern. Solche Produktivitätsgewinne kämen auch den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zugute in Form von höheren Löhnen. Soweit die Theorie. Was wäre jedoch, wenn der Zugang zu solchen Plattformen und deren Navigation für Personen mit mässigen IT- oder Sprachkenntnissen erschwert wäre? Könnte es sein, dass in diesem Fall Plattformen eher neue, digitale Gräben schaffen und sogar Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt verstärken, anstatt integrativ zu wirken?

Was wir von der Stellenmeldepflicht über Online-Jobbörsen lernen können

In einer Studie für das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat die KOF die Nutzung der Online-Jobbörse externe SeiteJob-Room.ch der öffentlichen Arbeitsvermittlung, eine der wichtigsten Schweizer Online Jobbörsen, im Kontext der Einführung der Stellenmeldepflicht studiert. Die Nutzung von Job-Room wurde mit der Einführung der Stellenmeldepflicht am 1. Juli 2018 besonders attraktiv für viele Personen, die bei einem RAV als Stellensuchende gemeldet waren. Ab diesem Zeitpunkt mussten nämlich Arbeitgeber alle offenen Stellen in Berufen mit hoher Arbeitslosigkeit (typischerweise über 8%) den regionalen Arbeitsvermittlungsämtern (RAV) melden. Diese Stellen wurden dann auf Job-Room in einem mit einem Login geschützten Bereich aufgeschaltet und durften während einer Sperrfrist von fünf Arbeitstagen nicht anderweitig ausgeschrieben werden. Dadurch erhielten die bei den RAV registrierten Stellensuchenden, die auf Job-Room ein Login zu diesem geschützten Bereich eingerichtet hatten, einen Informationsvorsprung im Vergleich zu allen anderen Stellensuchenden. Mit der Gewährung dieses Informations­vorsprungs wollte das Schweizer Parlament, welches mit der Stellenmeldepflicht die Masseinwanderungsinitiative umsetzte, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen. In der Studie analysieren die Studienautoren unter anderem, ob der Informationsvorsprung überhaupt genutzt wurde und welche Stellensuchenden sich mit einem Login einen Zugang zum geschützten Bereich des Job-Rooms verschafften.

Informationsvorsprung während Sperrfrist wird genutzt

Um Antworten zur ersten Frage zu liefern, nutzt die Studie Daten zu fast 300 000 (meldepflichtigen und nicht meldepflichtigen) Stellen, die im Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis zum 31. Dezember 2019 auf Job-Room aufgeschaltet wurden, und insgesamt 5.5 Millionen Klicks, die auf diese Stellen verzeichnet wurden. Grafik G 7 zeigt, wie oft eine Stellenmeldung durchschnittlich pro Tag seit Freischaltung auf Job-Room angeklickt wurde. Die Studienautoren unterscheiden dabei meldepflichtige (links) und nicht meldepflichtige Stellenmeldungen (rechts). Damit beide Arten von Stellenmeldungen vergleichbar sind, wurde die Zahl der Klicks pro Tag mit der Zahl von im Beruf gemeldeten Stellensuchenden normalisiert. Zusätzlich lassen sich Klicks von Personen mit und solchen ohne Login zum geschützten Bereich des Job-Rooms unterscheiden. In der Grafik ist schliesslich auch die Sperrfrist eingezeichnet, während der meldepflichtige Stellenmeldungen nur im geschützten Bereich des Job-Rooms zugänglich sind. Weil die fünf Arbeitstage immer ein Wochenende einschliessen, dauert der Informationsvorsprung effektiv bis zum siebten Tag nach der Freischaltung der Stelle.

G7

Aus der Grafik lassen sich erste Schlüsse über die Nutzung des Informationsvorsprungs ziehen:

  • Die Grafik zeigt für beide Arten von Stellenmeldungen, dass die meisten Klicks jeweils in der Zeit unmittelbar nach Freischaltung auf Job-Room anfallen. Danach tendiert die Anzahl Klicks sehr schnell gegen null. Nach dem 30. Tag wird eine Stellenmeldung im Schnitt praktisch nicht mehr angeklickt. Mehr als 50% der Stellenmeldungen werden ab dem dritten Tag gar nicht mehr angeklickt. Die fünftägige Sperrfrist stellt im Vergleich zur Dauer, während der die Stellensuchenden die Inserate auf Job-Room üblicherweise betrachten, somit eine relativ lange Frist dar.
  • Meldepflichtige Stellenmeldungen erhalten mehr Klicks pro Tag als nicht meldepflichtige Stellen. Kumuliert man die durchschnittliche Anzahl Klicks pro Tag, erhalten meldepflichtige Stellenmeldungen bis zum Tag 35 mehr als doppelt so viele Klicks wie nicht meldepflichtige Stellenmeldungen (14 Klicks im Vergleich zu sechs Klicks, pro 100 000 Stellensuchende).
  • Bei meldepflichtigen Stellenmeldungen gibt es zwei Peaks: einen ersten am Tag der Freischaltung und einen zweiten am neunten Tag nach der Freischaltung bzw. gerade nach Ende der Sperrfrist. Die Unterteilung in Klicks von Personen mit Job-Room-Konto und ohne Konto zeigt, dass der erste Höhepunkt ausschliesslich auf Personen mit einem Job-Room-Konto zurückgeht. Dies ist zu erwarten, da meldepflichtige Stellenmeldungen nur für Stellensuchende mit Job-Room-Konto einsehbar sind. Entsprechend zeigt die hellgrüne Linie, dass Personen ohne Job-Room-Konto die meldepflichtigen Stellen in der Sperrfrist nicht anklicken. Ihre Klicks schnellen dafür nach der Sperrfrist in die Höhe, was den zweiten Höhepunkt erklärt. Die kumulativen Klicks von Personen ohne Konto entsprechen immerhin ca. 40% der Klick-Totals pro meldepflichtige Stellenmeldung auf Job-Room.

Insgesamt zeigt sich, dass Stelleninserate auf Job-Room durchaus genutzt werden – vor allem in den ersten Tagen nach der Freischaltung. Meldepflichtige Stellen verzeichnen zwei Höhepunkte in ihrer Nutzungsintensität: einen ersten direkt nach der Freischaltung von Personen mit Login zum geschützten Bereich und einen zweiten von Personen ohne Login gerade nach Ablauf der Sperrfrist. Letzterer könnte auch von Personen stammen, die zwar Anrecht auf ein Login zum geschützten Bereich des Job-Rooms hätten, sich dessen aber nicht bewusst sind und sich deshalb noch nicht für ein Login registriert haben.

Wer nutzt den Informationsvorsprung und wer nicht?

Damit kommen wir zur Frage, welche Stellensuchenden sich überhaupt ein Login zum geschützten Bereich des Job-Rooms verschaffen, um vom Informationsvorsprung zu profitieren. Die Antwort auf diese Frage gibt auch Auskunft darüber, ob es auf der Plattform zu einem digitalen Graben («Digital Divide») kommt. Dazu nutzen wir Daten von allen Personen, die vom 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2019 als Stellensuchende und Stellensuchender bei einem RAV gemeldet waren, und ihrer Login-Aktivität auf Job-Room.

Die Auswertungen zeigen, dass nur eine Minderheit von 25% der Stellensuchenden ein Konto zum geschützten Bereich des Job-Rooms eröffnet bzw. sich für ein Login registriert. Dieser Anteil erhöhte sich zwar stetig in den ersten eineinhalb Jahren seit Inkrafttreten der Stellenmeldepflicht, betrug aber im letzten Quartal von 2019 immer noch weniger als 40%. Dabei gibt es erhebliche kantonale Unterschiede: Im Tessin war der Anteil Stellensuchende mit aktivem Job-Room-Konto ca. 4.5-mal höher (42%) als in Appenzell Innerrhoden (9%).

Eine multivariate Analyse von Personencharakteristika zur Nutzung des Job-Room-Logins fördert ein paar überraschende und ein paar erwartete Resultate zutage:

  • Eher erwartet sind Unterschiede hinsichtlich der Kenntnisse der schriftlichen Landessprache, hinsichtlich der IT-Kenntnisse und Bildung. Grafik G 8 zeigt, dass gerade IT-Kenntnisse und gute oder sehr gute schriftliche Kenntnisse der lokalen Landessprache die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, den geschützten Bereich des Job-Rooms zu nutzen und damit vom Informationsvorsprung zu profitieren. Weiter zeigt sich, dass auch Personen mit höherer Bildung diesen Bereich deutlich stärker nutzen. 
G8
  • Eher überraschend sind dagegen Nutzungs-Unterschiede hinsichtlich des Alters. So weisen Stellensuchende im Alter zwischen 45 und 55 Jahren die ¬höchste Nutzungswahrscheinlichkeit auf und Stellensuchende unter 25 Jahren die tiefste. Dieses Resultat widerspricht der landläufigen Meinung, dass internetbasierte Stellensuchkanäle vor allem von jüngeren Stellensuchenden genutzt werden.
  • Überraschenderweise scheint der Informationsvorsprung nicht massgeblich dazu beizutragen, ein Job-Room-Konto zu eröffnen. So weisen Personen, die Jobs in einem meldepflichtigen Beruf suchen oder davor in einem solchen gearbeitet haben, nur eine leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit auf, den geschützten Job-Room-Bereich zu nutzen. Eine detaillierte Betrachtung in der Studie zeigt zudem eine grosse Streuung der Job-Room-Nutzung innerhalb beider Berufsgruppen.
  • Grafik G 9 Unterschiede Personen: Bar-charts mit Konfidenzintervallen zur durchschnittlichen Nutzung folgender Charakteristika: IT- und Sprachkenntnisse, Bildung, Alter, evtl. meldepflichtige und nicht meldepflichtige Berufe.
G9

Was lernen wir daraus?

Insgesamt zeigen diese Auswertungen ein gemischtes Bild zur Nutzung des Informationsvorsprungs auf der öffentlichen Online-Jobbörse Job-Room.

  • Meldepflichtige Stellenmeldungen, die auf Job-Room bis zur Sperrfrist nur im mit Login geschützten Bereich veröffentlicht werden, werden zwar während der Sperrfrist häufig angeschaut, verzeichnen aber auch nach der Sperrfrist nochmals viele neue Klicks. Letztere könnten teilweise von Personen stammen, die zwar Anrecht auf ein Konto zum geschützten Bereich haben, aber dies nicht wissen oder zufriedenstellend nutzen können.
  • Die Analysen zur Login-Aktivität weist darauf hin, dass zumindest zu Beginn der Stellenmeldepflicht der Informationsvorsprung nicht der wichtigste Grund gewesen sein kann, weshalb Stellensuchende ein Job-Room-Konto eröffnet und dieses genutzt haben. Eine ergänzende Auswertung zeigt aber, dass eine Informationskampagne bei den RAVs und ein begleitender Abbau von technischen Hürden die Job-Room-Nutzung gerade von Stellensuchenden gesteigert hat, die eigentlich vom Informationsvorsprung am meisten profitieren könnten.
  • Zuletzt zeigen sich gewisse Hinweise auf einen digitalen Graben in der Nutzung des mit Login-geschützten Bereichs. Personen ohne IT-Kenntnisse, mit wenig Kenntnissen der lokalen Sprache oder mit tiefer Bildung nutzen den geschützten Bereich des Job-Rooms deutlich weniger. Diese Personen haben auf dem Arbeitsmarkt auch sonst tendenziell weniger gute Chancen, einen Job zu finden. Damit könnte die Online-Jobbörse Job-Room bestehende Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt noch zusätzlich verstärken und die Integration von benachteiligten Gruppen eher noch erschweren (siehe: «Was Klicks auf einer Jobplattform über Diskriminierung verraten»). Die Vereinfachung des Zugangs und der Nutzung für diese Gruppen ist deshalb ein wichtiger Fokus für zukünftige Änderungen am Design, an technischen Zugangshürden und Informationskampagnen zur Nutzung von Job-Room.

Die KOF-BSS-Studie zur Stellenmeldepflicht finden Sie externe Seitehier.

Kontakt

Dr. Andreas Beerli
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
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