Wie nutzten die Kurzarbeitenden ihre zusätzliche Zeit?
Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise waren 1.35 Millionen Schweizer Beschäftigte in Kurzarbeit. Eine aktuelle KOF Spezialanalyse geht der Frage nach, wie die Kurzarbeitenden im Jahr 2020 ihre zusätzliche Zeit nutzten.
Die Kurzarbeit war wohl das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument, um die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt zu beschränken. Wie der Vergleich mit anderen Ländern ohne Kurzarbeitsmassnahme andeutet, wäre es 2020 ohne Kurzarbeit in der Schweiz zu einer beispiellosen Entlassungswelle gekommen. Insgesamt wurde auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im April 2020, als viele Ladengeschäfte und alle Märkte, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe geschlossen bleiben mussten, für nicht weniger als 1.35 Millionen Beschäftigte Kurzarbeit abgerechnet – fast 15-mal mehr als auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009.
In einer neuen KOF Spezialanalyse gehen Alexander Götz, Daniel Kopp und Michael Siegenthaler der Frage nach, wie die Kurzarbeitenden im Jahr 2020 die zusätzliche Zeit nutzten. Nahmen sie eine Nebenerwerbstätigkeit auf? Bildeten sie sich weiter oder suchten nach einem anderen Job? Leisteten sie vermehrt unbezahlte Arbeit, indem sie zum Beispiel mehr Zeit in die Kinderbetreuung oder Gartenarbeit investierten? Die Antworten auf diese Fragen sind auch deshalb wichtig, weil sie Anhaltspunkte liefern, wie «produktiv» die Kurzarbeitenden die zusätzliche Zeit nutzten.
Um den Fragen nachzugehen, verwenden die Autoren Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebungen (SAKE) der Jahre 2019 und 2020. Die Analysen profitieren dabei auch von der glücklichen Tatsache, dass die Haushalte just im Jahr 2020 im Rahmen eines Spezialmoduls detailliert zum Ausmass ihrer unbezahlten Arbeit befragt wurden. Die Kurzarbeitenden lassen sich in den Daten ausfindig machen, weil Befragte, die in der Vorwoche der Befragung weniger als vertraglich vorgesehen arbeiteten, nach dem Grund für die Minderarbeit befragt werden. Kurzarbeit ist eine Antwortmöglichkeit.
Vollzeiterwerbstätige Kurzarbeitende gewannen im Schnitt 3.5 Stunden pro Werktag
Die Auswertungen liefern eine Reihe interessanter Befunde. Zunächst suggerieren die Daten, dass Kurzarbeitende zwischen April und Dezember 2020 aufgrund der Minderarbeit zusätzliche freie Zeit zur Verfügung hatten. Bei Vollzeiterwerbstätigen mit Kurzarbeit standen zum Beispiel rund 3.5 Stunden pro Werktag zusätzlich zur Verfügung. Der Arbeitsausfall war dabei während des Lockdowns bedeutend grösser als in den beiden Quartalen der zweiten Jahreshälfte 2020. Viele Kurzarbeitende arbeiteten im April bis Juni gar nicht.
Die Analysen zeigen zweitens, dass Kurzarbeitende während der Krise nicht vermehrt eine Nebenerwerbstätigkeit aufnahmen. Im Gegenteil: Die Kurzarbeitenden gingen seltener einer Nebenerwerbstätigkeit nach als vor der Krise. Dieser Rückgang dürfte primär die aufgrund der Krise gesunkene Chance widerspiegeln, eine Arbeit zu finden. Dafür spricht, dass die Wahrscheinlichkeit eines Nebenerwerbs auch unter jenen leicht sank, die im Hauptjob voll erwerbstätig blieben.
Weniger Zeit für die Stellensuche im Lockdown
Drittens zeigt sich, dass die Personen, die im zweiten Quartal 2020 – also während des Lockdowns – in der Kurzarbeit waren, weniger häufig nach einer Stelle suchten als vor der Corona-Krise. Auch dies dürfte hauptsächlich damit zusammenhängen, dass es während des Lockdowns wenige offene Stelle gab, weshalb die Stellensuche in vielen Arbeitsmarktbereichen wenig Sinn ergab. Entsprechend ging auch die Jobsuche unter den Erwerbstätigen zurück, die nicht in die Kurzarbeit mussten. Erst in der zweiten Jahreshälfte 2020 nahm die Jobsuche unter den Kurzarbeitenden etwas zu. Insgesamt haben sich aber nur wenige Kurzarbeitende nach einer neuen Stelle umgeschaut – ihr Anteil betrug nur rund 12%. Rund 8% dieser Erwerbstätigen waren schon vor der Krise auf Jobsuche.
Viertens suggerieren die Erhebungen, dass sowohl die Erwerbstätigen als auch die Kurzarbeitenden 2020 deutlich seltener einen Weiterbildungskurs oder ein Seminar besucht haben. Besonders ausgeprägt war der Rückgang im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau während des Lockdowns. Doch auch in der zweiten Jahreshälfte wurden weniger Kurse und Seminare besucht. Einzig jene Personen, die während der Krise arbeitslos wurden, hatten in der zweiten Jahreshälfte eine höhere Wahrscheinlichkeit als vor der Krise, sich weiterzubilden. Der generelle Rückgang der Weiterbildungsaktivität dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass viele Weiterbildungsangebote 2020 nicht mehr durchgeführt werden durften.
Die Analysen suggerieren also, dass die meisten Kurzarbeitenden die frei gewordene Zeit nicht primär für die Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit, die Jobsuche oder für den Besuch eines Weiterbildungskurses verwendeten. Steigerten sie stattdessen das Ausmass, in dem sie unbezahlt arbeiteten? Dieser Frage gehen wir in der Grafik G 4 nach. Als Referenz, wie viel unbezahlte Arbeit Vollzeiterwerbstätige im Normalfall leisten, verwenden wir die Interviewantworten der Erwerbstätigen, die direkt vor Ausbruch der Krise befragt wurden. Diese Antworten vergleichen wir mit den Antworten jener, die während der Krise entweder auf Kurzarbeit oder weiterhin voll erwerbstätig waren. Um die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass Unterschiede zwischen den Gruppen von unterschiedlichen Beschäftigungsgraden herrühren, berücksichtigen wir nur Vollzeiterwerbstätige. Wir unterscheiden zudem Befragte mit und ohne Kinder von null bis 14 Jahren im Haushalt.
Die Grafik illustriert zunächst anhand der roten Balken, wie viel Zeit den Gruppen pro Werktag zur freien Verfügung stand. Direkt vor der Krise waren dies durchschnittlich 2.5 Stunden bei Erwerbstätigen mit Kindern unter 14 Jahren und 4.3 Stunden bei jenen ohne Kinder in dieser Altersgruppe. In der Corona-Krise nahm die frei verfügbare Zeit bei Erwerbstätigen mit und ohne Kinder um je circa eine Stunde ab. Vollzeiterwerbstätige Kurzarbeitende hingegen hatten etwas mehr Zeit zur freien Verfügung, da sie aufgrund der Minderarbeit weniger Stunden Erwerbsarbeit leisteten und dies nicht vollständig durch unbezahlte Arbeit kompensierten. Kurzarbeitende mit Kindern unter 14 hatten rund 4 Stunden, jene ohne Kinder etwas mehr als 6 Stunden zur freien Verfügung.
Homeoffice und Homeschooling ändern den Tagesablauf
Im Vergleich zum ersten Quartal 2020 nahm die unbezahlte Arbeit in der Pandemie in allen betrachteten Gruppen zu. Der Zeitaufwand für haushaltsbezogene Tätigkeiten, d.h. für das Zubereiten von Mahlzeiten, Abwaschen, Tischdecken, Erledigen von Einkäufen, Putzen, Aufräumen und Waschen, wuchs zum Beispiel im Schnitt rund 0.3 Stunden pro Tag. In ähnlichem Ausmass stieg der Zeitaufwand für handwerkliche und administrative Tätigkeiten, wozu unter anderem Gartenarbeit zählt. Der Zeitaufwand für die Betreuung von Kindern sowie pflegebedürftigen Personen nahm in der Krise sogar noch etwas stärker zu. Diese Resultate dürften unter anderem mit der Zunahme des Homeoffice und der Tatsache zu tun haben, dass die Kinder in der Lockdown-Phase teilweise zu Hause unterrichtet werden mussten.
Auffällig ist aber auch, dass die unbezahlte Arbeit unter den Kurzarbeitenden besonders stark zunahm. Kurzarbeitende mit Kindern zum Beispiel verbrachten 0.3 Stunden mehr für handwerkliche und administrative Tätigkeiten als jene Vollzeiterwerbstätige mit Kindern, die während der Krise ohne Kurzarbeit weiterarbeiten konnten. Kurzarbeitende mit jungen Kindern investierten auch eine halbe Stunde mehr für die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen als diese Gruppe. Insgesamt suggerieren die Auswertungen, dass Kurzarbeitende etwa einen Drittel des Arbeitsausfalls für zusätzliche unbezahlte Arbeit aufwendeten.
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