Unternehmen erwarten Lohnwachstum von 1.6% in zwölf Monaten

Eine Sonderumfrage der KOF untersucht die Lohnerwartungen der Schweizer Betriebe von heute bis in einem Jahr. In fast allen Branchen rechnet eine Mehrheit der Betriebe mit einem Lohnwachstum von 1% oder mehr.

Geld

Wie werden sich die Löhne im nächsten Jahr entwickeln? Die Datenbasis, die in der Schweiz zur Verfügung steht, um diese Frage zu beantworten, ist bis dato dünn. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hat die Schweiz keine eigentliche quartalsjährliche Erhebung der Lohnentwicklung, die zeigt, wie sich die Löhne innerhalb eines Kalenderjahres entwickeln. Zudem gibt es wenige Informationen, welche Lohnentwicklung die Arbeitsmarktteilnehmenden für die nahe Zukunft erwarten. Im Herbst werden zwar Umfragen privater Firmen publiziert, welche Unternehmen zu ihren Lohnabschlüssen fürs kommende Jahr befragen. Doch diese Umfragen haben Einschränkungen in Bezug auf Repräsentativität und Stichprobengrösse und finden zudem nur einmal im Jahr statt.

Die KOF möchte diese Informationslücke zukünftig schliessen. Es ist geplant, dass jene Unternehmen, die an den KOF Konjunkturumfragen teilnehmen, quartalsweise zu ihren Lohnerwartungen befragt werden. Dank der Grösse und Abdeckung der Umfragedaten würden die Umfrageergebnisse künftig eine quartalsjährliche quantitative Einschätzung zum erwarteten Lohnwachstum in den kommenden zwölf Monaten in verschiedenen Branchen erlauben.

In einer KOF-Sonderumfrage zum Preissetzungsverhalten wurde die entsprechende Frage zu den Lohnerwartungen der Unternehmen erstmals getestet. Konkret wurden die Unternehmen gefragt: «Was erwarten Sie, wie verändern sich in Ihrem Unternehmen die Bruttolöhne im Durchschnitt der Beschäftigten von heute bis in einem Jahr (in Prozent)?» Die Formulierung soll sicherstellen, dass die Unternehmen ihre Erwartungen für die nächste Lohnrunde formulieren.

Am 16. Februar 2022 wurden für die Sonderumfragen 5556 Unternehmen angeschrieben, von denen sich bis Ende März 1550 Unternehmen an der Umfrage beteiligten – das entspricht einer Rücklaufquote von 27.9%. Sieben von zehn Personen, die den Fragebogen für das Unternehmen ausfüllten, bezeichnen sich als Inhaberinnen oder Geschäftsführer, rund 17% als Abteilungsleiterinnen oder Abteilungsleiter. Die Lohnerwartungen der Umfrageteilnehmenden dürften also einen direkten Einfluss auf die tatsächliche Lohnentwicklung im Betrieb haben.

Über vier von zehn Betrieben rechnen mit Lohnwachstum von 2% oder mehr

Die Grafik «Erwartete Lohnanpassungen von Schweizer Unternehmen» (siehe Grafik G 5) zeigt, dass die befragten Unternehmen im Schnitt mit einem Wachstum der Bruttolöhne in den kommenden zwölf Monaten von 1.6% rechnen. Die Grafik zeigt die ungewichteten Antworten auf die Frage nach den Lohnanpassungen. Fragebögen mit einer Lohnwachstumsrate von über 20% oder unter -20% wurden ausgeschlossen.

Die Unterschiede zwischen den Betrieben hinsichtlich der erwarteten Lohnanpassungen sind beträchtlich. Etwas mehr als 40% der Betriebe rechnen mit einem Lohnwachstum von 2% oder mehr. Selbst 5% Lohnwachstum sind in gewissen Betrieben nicht ausser Reichweite. Auf der anderen Seite rechnen rund ein Viertel der Betriebe mit einem Lohnwachstum von 0.5% oder weniger. Ein Fünftel der Betriebe geht von einer Nullrunde aus. Es gibt praktisch keine Umfrageteilnehmenden, die nominelle Lohnsenkungen erwarten. Zudem gibt es Unterschiede nach Firmengrösse: Grössere Firmen erwarten tendenziell etwas kleinere Lohnzuwächse als kleinere Betriebe. Gewichtet man die Umfrageantworten daher nach der vollzeitäquivalenten Beschäftigung der Firmen, beträgt das erwartete Lohnwachstum 1.3%.

G 5

Fast alle Branchen erwarten 1% Lohnwachstum oder mehr

Die Grafik «Erwartete Lohnanpassungen nach Branche» (siehe Grafik G 6) illustriert die Unterschiede in den (ungewichteten) Lohnerwartungen zwischen den Wirtschaftsbranchen. Die Grafik zeigt den Median der jeweiligen Branche – der Wert, der «in der Mitte» der Branchenantworten liegt, wenn man diese aufsteigend nach Lohnwachstum sortiert. Die Grafik fokussiert auf Branchen, in denen mehr als zehn Antworten vorliegen. Das höchste Lohnwachstum erwarten die Befragten aus den Branchen Finanzdienstleistungen, Informationsdienstleistungen und -technologie, Beherbergung, Lagerei, Motorfahrzeuge, Holzindustrie, Maschinenbau und die Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, wozu die Uhrenindustrie zählt. Hier liegt der Median bei einem nominalen Lohnwachstum von 2%. Interessanterweise handelt es hier also sowohl um Branchen, die traditionell hohe Lohnzuwachsraten aufweisen (etwa der IT-Bereich), wie auch um Branchen, die stark von der Corona-Pandemie betroffen waren und zuletzt über Fachkräftemangel klagten (z. B. das Gastgewerbe). Am untersten Ende der erwarteten Lohnzuwächse nach Branchen liegt einerseits das Druckgewerbe mit einem erwarteten Medianlohnwachstum von 0.5%. Im Grundstückwesen und im Bereich der sonstigen Warenherstellung geht sogar eine Mehrheit der Befragten davon aus, dass der Nominallohn nicht steigen wird. In fast allen Branchen liegt der Median der erwarteten Lohnzuwächse bei 1% oder mehr, was darauf hindeutet, dass das Lohnwachstum in der nächsten Lohnrunde nominal grösser ausfallen wird als in den letzten Jahren, in denen es meist unter 1% lag.

G 6

Löhne werden meist nur einmal pro Jahr angepasst

Die Unternehmen wurden zur Einordnung der Lohnerwartungsfrage in der Sonderumfrage der KOF auch dazu befragt, in welchen Monaten des Jahres sie typischerweise ihre Löhne erhöhen oder senken. Die Grafik «Anpassungszeitpunkt der Löhne» (sieh Grafik G 7) zeigt, dass die grosse Mehrheit der Betriebe die Löhne entweder im Januar (66.4% aller Antworten) oder Dezember (9.2%) anpassen. Auch im März und April finden in gewissen Betrieben Lohnanpassungen statt (insgesamt 14.7% der Antworten). Da die Unternehmen im Fragebogen die Möglichkeit hatten, mehrere Monate anzukreuzen, lässt sich aus den Antworten auch ableiten, wie oft eine Firma ihre Bruttolöhne pro Kalenderjahr anpasst. Es zeigt sich: In 90% der befragten Unternehmen werden die Löhne nur einmal im Jahr erhöht. 8% der befragten Unternehmen geben an, zwei Lohnanpassungen pro Jahr vorzunehmen. Diese Unternehmen ändern die Löhne typischerweise im Januar und Juli. Ungefähr jedes fünfzigste Unternehmen gibt an, die Löhne dreimal oder noch häufiger anzupassen.

Interessanterweise sind es eher die kleineren Betriebe, die ihre Löhne zum Jahreswechsel anpassen. Bei den grossen Betrieben werden die Löhne hingegen häufigen zu anderen Zeitpunkten angepasst. In Zahlen ausgedrückt: Betriebe, welche die Löhne im Januar anpassen, haben im Schnitt 123 vollzeitäquivalente Stellen. Betriebe, welche die Löhne im April anpassen, haben hingegen im Schnitt 370 vollzeitäquivalente Beschäftigte. Dieser Umstand führt dazu, dass die Zahlen zum Anpassungszeitpunkt etwas anders ausfallen, wenn man die Umfrageantworten beschäftigungsgewichtet. In diesem Fall finden gut 55% der Lohnanpassungen im Dezember oder Januar an. Der Anteil der Lohnanpassungen, der im März oder April stattfindet, steigt umgekehrt auf 29%.

G 7

Löhne widerspiegeln konjunkturelle Wendepunkte spät

Diese Resultate haben wichtige volkswirtschaftliche Implikationen. Dass die Nominallöhne in bestehenden Arbeitsverträgen nur einmal jährlich angepasst werden, ist eine Erklärung, warum die Lohnentwicklung der konjunkturellen Entwicklung meist deutlich hinterherhinkt. Die Tatsache, dass viele Betriebe die Löhne um den Jahreswechsel anpassen, führt dazu, dass die Löhne schneller auf jene konjunkturellen Veränderungen reagieren, die gegen Ende des Kalenderjahres stattfinden. Konjunkturelle Wendepunkte zu Beginn eines Kalenderjahres – und insbesondere jene im Mai oder Juni eines Jahres – haben eine weniger unmittelbare Auswirkung auf die Lohnentwicklung.

Was diese Eigenschaften für die Lohnentwicklung in der Schweiz bedeuten, zeigte sich exemplarisch nach dem Frankenschock 2015 und nach Beginn der Corona-Pandemie im März 2020. Die beiden wichtigsten konjunkturellen Wendepunkte der letzten Dekade fanden nämlich zufälligerweise früh im Kalenderjahr statt – zu einem Zeitpunkt also, als viele Betriebe die Löhne für das laufende Jahr bereits gesetzt hatten. Die Löhne spiegelten daher die Verschlechterung der Wirtschaftslage fast ein ganzes Jahr nicht. So wuchsen die Löhne beispielsweise im ersten Corona-Jahr nominal ordentlich und real – wegen sinkender Konsumentenpreise – sogar vergleichsweise stark, weil sie Ende 2019 unter dem Eindruck einer sehr robusten Konjunkturlage vereinbart worden waren. Erst ein Jahr später reflektierten die Löhne den Konjunktureinbruch, als es konjunkturell eigentlich schon wieder deutlich aufwärtsging.

Reallöhne sind 2022 rückläufig

Die Tatsache, dass die Unternehmen die Löhne typischerweise nur einmal und oft zu Jahresbeginn anpassen, dürfte auch in diesem Jahr einen wichtigen Einfluss auf die Lohnentwicklung haben. Denn sie dürfte dazu führen, dass die Nominallöhne 2022 kaum auf den Ukraine-Krieg und die dadurch ausgelösten Preissteigerungen reagieren werden. Der Krieg wird erst die nächste Lohnrunde beeinflussen – und damit die Löhne im Jahr 2023. Die Arbeitnehmenden werden den Ausgleich der aufgrund des Krieges gestiegenen Konsumentenpreise verlangen. Die Firmen wiederum dürften die Forderungen nach Lohnerhöhungen mit Verweis auf die grössere wirtschaftliche Unsicherheit, gestiegene Produktionskosten und möglicherweise einen Rückgang der Exportnachfrage kontern. Welcher Effekt überwiegt, ist schwer vorauszusagen.

Im günstigen Szenario zum Ukraine-Krieg prognostizierte die KOF daher in der letzten Konjunkturprognose, dass die Nominallöhne gemäss schweizerischem Lohnindex (SLI) im Jahr 2022 um nur 0.8% steigen werden. Für das Jahr 2023 geht die KOF in diesem Szenario von einem Zuwachs von 1.8% aus. Das tiefe Nominallohnwachstum 2022 reicht nicht aus, um die erwartete Teuerung im laufenden Jahr zu kompensieren. In diesem Jahr dürften die Reallöhne gemäss SLI-Konzept daher um fast 1% sinken, nachdem sie in den Jahren 2020 und 2021 um 1.5 bzw. 0.1% gestiegen waren. Für das nächste Jahr prognostiziert die KOF einen Reallohnanstieg von 1.1%.

Kontakt

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
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  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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