Wie die Digitalisierung die Einwanderung von Hochqualifizierten antreibt

Es herrscht wieder Fachkräftemangel in der Schweiz. Eine kürzlich im Journal of Population Economics publizierte Studie zeigt auf, wie die Digitalisierung die Nachfrage der Schweizer Wirtschaft nach Hochqualifizierten antreibt. Somit beeinflusst die Digitalisierung massgeblich, welche Personen in die Schweiz einwandern.


(Gorodenkoff - stock.adobe.com)

Gemäss Bundesamt für Statistik haben im ersten Quartal 2022 38% der Firmen angegeben, dass sie qualifizierte Arbeitskräfte nur schwer oder gar nicht finden – ein Höchstwert. Die Arbeitslosigkeit ist ausserordentlich tief, viele Stellen können nicht besetzt werden. Mit dem Fachkräftemangel bei Schweizer Firmen steigt auch wieder die Zuwanderung. Lag die Nettoeinwanderung im Jahr 2020 pandemiebedingt mit 47 300 Personen auf dem tiefsten Stand seit 15 Jahren, stieg diese 2021 wieder deutlich auf 62 500 Personen. Diese Zuwanderung kann den Arbeitskräftemangel dämpfen. Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ist die Zahl der Beschäftigten in Informations- und Kommunikationstechnik-Berufen zwischen 2010 und 2021 um 60% gestiegen. Knapp die Hälfte dieses Wachstums entfiel auf ausländische Arbeitskräfte. Insgesamt stammt so fast ein Drittel der IT-Fachkräfte aus dem Ausland. Gesamtwirtschaftlich beträgt der Anteil der ausländischen Erwerbstätigen gut 26%. Die Zuwanderung leistet demnach einen wichtigen Beitrag, die Nachfrage nach Fachkräften zu decken (SECO, 2022).

Boom bei Zuwanderung von Hochqualifizierten

Auch international gesehen boomte die Zuwanderung von Hochqualifizierten. In den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stieg der Anteil von Migranten und Migrantinnen mit einer Tertiärbildung von 1990 bis 2010 um knapp 130%. Dabei verteilen sich hochqualifizierte Zuwanderer und Zuwanderinnen nicht gleichmässig auf die Destinationsländer. Am attraktivsten für Immigranten sind die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada und Australien. Rund 70% aller hochqualifizierten Migranten und Migrantinnen wählen diese Zielländer. Aber auch die Schweiz ist attraktiv: Hierzulande erhöhte sich der Anteil von Hochqualifizierten bei Neuzugewanderten von 21% im Jahr 1990 auf 44% im Jahr 2010 und sogar auf 61% im Jahr 2020. Währenddessen stieg zwar auch der Anteil von Hochqualifizierten bei Einheimischen, lag aber im Jahr 2020 «nur» bei 36%. In manchen Regionen wie Zürich, Zug oder Basel betrug der Anteil der Neuzugewanderten mit Tertiärbildung gar 75%, während dieser in Regionen um Aarau oder Solothurn um 45% lag.

Welche Faktoren stecken hinter dem Boom in der Zuwanderung von Fachkräften und bestimmen, für welche Destinationen sie sich entscheiden? Kann und soll die Politik die Zuwanderung von Talenten steuern? Wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass hochqualifizierte Zuwanderer und Zuwanderinnen oft einen positiven Beitrag zum Wachstum und zur Innovationstätigkeit von Firmen leisten (Beerli, Ruffner, Siegenthaler, Peri, 2021), den Handel stimulieren (Ariu, 2022), einen positiven Einfluss auf die öffentlichen Finanzen haben (Dustmann, Frattini, 2014) und all dies meist ohne starke Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt (Beerli, Ruffner, Siegenthaler, Peri, 2021). Kein Wunder also, wird die Zuwanderung von Hochqualifizierten bei einem breiten politischen Spektrum gern gesehen.

Eine im «Journal of Population Economics» erschienene Studie von KOF-Ökonom Andreas Beerli, Ronald Indergand und Johannes Kunz mit dem Titel externe Seite«The supply of foreign talent: how skill-biased technology drives the location choice and skills of new immigrants» zeigt, dass der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Digitalisierung hinter dem Boom von hochqualifizierten Zuwanderern und Zuwanderinnen steckt. Der Zusammenhang ist naheliegend, zumal diverse Studien zeigen, dass Länder mit einer höheren Lohnungleichheit zwischen Hoch- und Niedrigerqualifizierten typischerweise eine stärkere Zuwanderung von Hochqualifizierten verzeichnen (Grogger, Hanson, 2011). In solchen Ländern ist die Prämie für ein höheres Bildungsniveau auf dem Arbeitsmarkt höher, weshalb sich die Zuwanderung vor allem für Hochqualifizierte lohnt. Gleichzeitig ist aus verschiedenen internationalen Studien bekannt, dass die Digitalisierung seit den 1980er Jahren zu einem starken Anstieg der Bildungsprämie geführt und neue Jobs für Hochqualifizierte geschaffen hat. Inwiefern sind die beiden Phänomene also verknüpft?

Die Digitalisierung schafft unterschiedliche Arbeitsmarktchancen nach Bildungsniveau

Die Studie untersucht zunächst, welche Regionen in der Schweiz wie stark von der Digitalisierung betroffen sind. Bestehende Studien zeigen, dass sich die Digitalisierung vor allem ab 1980 stark beschleunigt hat, als Mikroprozessoren deutlich billiger wurden und Firmen begannen, vermehrt Computer und Maschinen für automatisierbare Arbeitsprozesse einzusetzen (Autor, Dorn, 2013). Fliessbandarbeiter und Fliessbandarbeiterinnen wurden durch Roboterarme ersetzt, Büroassistenten und Büroassistentinnen durch Softwareprodukte. Maschinen wurden demnach vor allem für bestimmte repetitive Abläufe – sogenannte Routineaufgaben – eingesetzt. Regionen, die aufgrund ihrer Industriestruktur vor 1980 einen höheren Anteil solcher Routineaufgaben hatten, waren dieser Automatisierung stärker ausgesetzt.

Mit der Volkszählung 1970 lässt sich diese Exponiertheit messen als Anteil der Beschäftigten in Berufen mit einem hohen Grad an Routineaufgaben. Grafik G 2 teilt die 106 Pendlerregionen der Schweiz in zwei Gruppen auf: solche mit einem hohen und einem tiefen Anteil von Routinejobs im Jahr 1970. Da sich Investitionen in Computer und Roboter für diese Zeit nicht direkt messen lassen, zeigt die Grafik stattdessen den Anteil der Beschäftigten in IT-Berufen für jede Dekade von 1970 bis 2010 als ein Indikator für Computerisierung. Im Jahr 1970 war der Anteil der Beschäftigten in IT-Berufen in beiden Regionen praktisch gleich gross. Mit den fallenden Preisen für Computer ab 1980 stieg dieser Anteil dann aber deutlich stärker in den Regionen mit einem davor starken Anteil an Routineaufgaben, die «automatisiert» werden konnten.

Der stärkere Einsatz von Computern und Maschinen wirkte sich auf die Löhne und Jobchancen im lokalen Arbeitsmarkt aus. In stärker exponierten Regionen stieg die (Lohn-)Prämie für Tertiärgebildete deutlich schneller als in weniger exponierten Regionen. Entsprechend veränderte sich die Erwerbsstruktur. Der linke Teil von Grafik G 3 zeigt die Veränderung (von 1990 bis 2010) des Anteils aller Beschäftigten verschiedener Berufsgruppen, rangiert nach ihrem Lohnperzentil (von 0 bis 100), wiederum für beide Gruppen von Regionen. Positive Werte auf der Y-Achse zeigen eine Zunahme des Beschäftigungsanteils einer Berufsgruppe, negative eine Abnahme. Die Beschäftigung in gut bezahlten Berufen (ab dem 75-Perzentil) nahm stark zu. Typischerweise handelt es sich dabei um Berufe für Hochqualifizierte, z.B. im Management oder in Akademie- und Technikberufen. Diese Zunahme ist in Regionen mit höherem Computerisierungspotenzial nochmals deutlich grösser. In Berufen zwischen dem zwanzigsten und dem sechzigsten Perzentil nahm der Beschäftigungsanteil hingegen deutlich ab. Hierbei handelt es sich typischerweise um Berufe von Erwerbstätigen mit einem mittleren Bildungsniveau (wie einem Lehrabschluss oder einer Matura), die als Bürokräfte oder in handwerklichen oder industriellen Berufen arbeiten.

Der Einsatz von Computern hat also sowohl die Löhne wie auch die Jobchancen für Hochqualifizierte verbessert im Vergleich zu Personen mit einem mittleren Bildungsniveau. Verschiedene Studien bestätigen ähnliche Trends auch in anderen Ländern, z.B. für die USA (Autorr und Dorn, 2013), für das Vereinigte Königreich (Goos und Manning, 2007) oder für Deutschland (Spitz-Oener, 2006).

Zuwanderung folgt Jobchancen auf dem Arbeitsmarkt

Der rechte Teil der Grafik G 3 zeigt, dass diese Entwicklungen bei Neuzugewanderten noch deutlich stärker ausgeprägt sind. Arbeitete die typische, neuzugewanderte ausländische Arbeitskraft im Jahr 1990 noch in tiefbezahlten handwerklichen oder Dienstleistungs-Berufen, hat sich dieses Bild 2010 fundamental verändert. Im Jahr 2010 arbeitete die typische Neuzuwanderin in gut bezahlten akademischen Berufen oder in Manager- oder technischen Berufen. Die Zuwanderer folgten damit den sich verändernden Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dies spiegelte sich auch in ihrem Bildungsniveau wider.

Grafik G 4 teilt die Schweizer Pendlerregionen in vier gleich grosse Gruppen auf nach ihrem Digitalisierungspotenzial (von links, hohes Potenzial, bis rechts, tiefes Potenzial). Die Y-Achse zeigt die Anzahl Neuzugewanderten jeweils für drei Bildungsgruppen: Primärbildung, Sekundärbildung und Tertiärbildung. Die Grafik zeigt einen deutlichen Anstieg in der Neuzuwanderung. Hatten im Jahr 1990 noch ca. 230 000 Personen eine kurzfristige Niederlassungsbewilligung, waren es im Jahr 2010 ca. 500 000. In allen Regionen waren hochqualifizierte Zuwanderer und Zuwanderinnen im Jahr 1990 die kleinste Gruppe. In den folgenden beiden Dekaden waren Hochqualifizierte hingegen in allen, ausser den Regionen mit dem kleinsten Digitalisierungspotenzial, die grösste Einwanderungsgruppe.

Umgekehrt nahm die Zahl von Tief- und Mittelqualifizierten in den 1990er Jahren deutlich ab und stieg in den 2000er Jahren wieder an, aber weniger stark. Diese Trends bei den Bildungsgruppen sind in Regionen mit grösserem Digitalisierungspotenzial deutlich stärker ausgeprägt. Diese erlebten in den 2000er Jahren auch einen regelrechten Boom in der Zuwanderung von Hochqualifizierten. Detailliertere Regressionsanalysen bestätigten diesen Zusammenhang zwischen Digitalisierungspotenzial und einer stärkeren Einwanderung von Hochqualifizierten. Diese Analysen zeigten auch, dass es vor allem der Dienstleistungssektor war, der den grössten Teil der neuen ausländischen Talente beschäftigte.

Der Einfluss der Personenfreizügigkeit

Inwiefern hat die Personenfreizügigkeit ab 2002 diese langfristigen Trends begünstigt oder erschwert? Eine Befürchtung war im Vorfeld, dass die Abschaffung jeglicher Zuwanderungshürden für Europäer und Europäerinnen zu einer starken Einwanderung von Tiefqualifizierten führen könnte. Grafik G 5 zeigt, dass sich dies nicht bewahrheitet hat. Der linke Teil der Grafik zeigt die Zuwanderung von Immigranten und Immigrantinnen aus EU-Ländern, wiederum für Regionen mit hohem und tiefem Digitalisierungspotenzial. Der rechte Teil der Abbildung zeigt die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern, auch in beiden Gruppen von Regionen.

In der Abbildung widerspiegeln sich die gleichen Trends, wie wir schon für alle Zuwanderer und Zuwanderinnen in Grafik G 4 gesehen haben. Sowohl für Immigranten aus EU- wie auch für Immigranten aus Nicht-EU-Ländern hat sich der Anteil an Hochqualifizierten stark erhöht. Weiter lässt sich erkennen, dass die Zuwanderung aus EU-Ländern deutlich stärker war zwischen 2000 und 2010 im Vergleich zur Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern in der gleichen Dekade.

Die Grafik zeigt auch einen sehr deutlichen Anstieg in der Zuwanderung von Hochqualifizierten aus EU-Ländern in Regionen mit hohem Digitalisierungspotenzial. Genauere empirische Auswertungen bestätigten die Eindrücke aus der Grafik. Die Personenfreizügigkeit hat die Zuwanderung von Migranten und Migrantinnen über die gesamte Schweiz gesehen in allen Bildungsgruppen etwa gleich stark erhöht. Damit hat sich die Bildungszusammensetzung bei Migrantinnen und Migranten aus der EU etwa gleich entwickelt wie bei jenen aus Drittländern. Es lässt sich aber feststellen, dass im Zuge der Personenfreizügigkeit vor allem Regionen mit einer starken Nachfrage nach Hochqualifizierten vermehrt solche Immigranten aus EU-Ländern rekrutieren konnten.

Was wir daraus lernen

Die Studie zeigt, dass die Zuwanderung in die Schweiz stark auf den Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Digitalisierung reagiert. Mit der Digitalisierung verbesserten sich nicht nur die Löhne, sondern auch die verfügbaren Jobs für Hochqualifizierte. Diese sich ändernden Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestimmten, für welche Gruppen von Migranten und Migrantinnen die Einwanderung in die Schweiz besonders attraktiv war und wo sie sich niederliessen. Die Personenfreizügigkeit tat diesem Trend keinen Abbruch, sondern beschleunigte ihn eher noch.

Die im «Journal of Population Economic» erschienene Studie «The supply of foreign talent: how skill-biased technology drives the location choice and skills of new immigrants» finden Sie externe Seitehier.

Literatur

Ariu, A. (2022): Foreign Workers, Product Quality, and Trade: Evidence from a Natural Experiment. CEPR Discussion Paper 14859.

Autor D.H., D. Dorn (2013): The growth of low skill service jobs and the polarization of the US labor market. American Economic Review 5(103):1553–1597.

Beerli A., J. Ruffner, M. Siegenthaler, G. Peri (2021): The abolition of immigration restrictions and the performance of firms and workers: evidence from Switzerland. American Economic Review 111(3):976–1012.

Dustmann C., J. Ludsteck, U. Schönberg (2009): Revisiting the German wage structure. Quarterly Journal of Economics
124(2):843–881.

Dustmann C., T. Frattini (2014): The fiscal effects of immigration to the UK. Economic Journal 124(580):593–643.

Goos M., A. Manning (2007): Lousy and lovely jobs: the rising polarization of work in Britain. Review of Economics and Statistics, 89(1):118–133.

Goos M., A. Manning, A. Salomons (2014): Explaining job polarization: routine-biased technological change and offshoring. American Economic Review 104(8):2509–2526.

Grogger J., G. H. Hanson (2011): Income maximization and the selection and sorting of international
migrants. Journal Development Economics 95(1):42–57.

SECO Staatssekretariat für Wirtschaft (2022): 18. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz EU. Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf Arbeitsmarkt und Sozialleistungen. Bern.

Spitz-Oener A. (2006): Technical change, job tasks, and rising educational demands: looking outside the wage structure. Journal of Labor Economics 24(2):235–270.

Kontakt

Dr. Andreas Beerli
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 116
  • +41 44 633 82 35

KOF FB KOF Lab
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert