«Die Inflation wird 2023 für Schweizer Verhältnisse hoch bleiben»

Die KOF erwartet in diesem Jahr weiter steigende Zinsen im Euroraum, in den USA und in der Schweiz. Die Inflation wird ihrer Einschätzung nach zwar sinken, aber weiterhin hoch bleiben. Warum, erklären die beiden Ökonomen Alexander Rathke und Pascal Seiler im Interview.

Die amerikanische Notenbank (Fed), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) erhöhten zum Jahresende ihre Leitzinsen um 0.5 Prozentpunkte. Auch die Bank of England und die Bank of Japan verschärften ihre Zinspolitik zuletzt. Handelt es sich bei diesen Zinserhöhungen um ein abgestimmtes Verhalten? Folgen die anderen Notenbanken der Fed oder ergibt sich das aus den jeweiligen Notwendigkeiten?

Seiler: Die einheitlichen Erhöhungen über die verschiedenen Währungsräume hinweg dürfen nicht über die unterschiedlichen makroökonomischen Situationen und Zinszyklen, in denen sich diese Volkswirtschaften befinden, hinwegtäuschen. In den Vereinigten Staaten hat die Fed vergleichsweise früh mit den Zinserhöhungen begonnen. In Europa hat die EZB deutlich später als ihr amerikanisches Pendant ihre Leitzinsen erhöht. In der Schweiz wiederum war die Inflation nie auch nur annähernd so hoch wie in den USA und im Euroraum. Von daher steht die SNB vor einer anderen Ausgangslage als die Fed und die EZB.

Rathke: Das Grundproblem in den drei Währungsräumen ist gleich: Die Zentralbanken müssen die Zinsen anheben, weil die Inflation zu hoch ist. Die Gründe für die hohe Inflation sind allerdings nicht überall gleich. In den USA spielt die Energiekomponente zum Beispiel eine weniger zentrale Rolle als in Europa. Dafür herrscht auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt eine extreme Knappheit an Arbeitskräften. Die Zahl der offenen Stellen liegt um drei Millionen höher als noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Das überträgt sich auf ein hohes Lohnwachstum und stark steigende Dienstleistungspreise. In Europa steigen dagegen derzeit vor allem noch die Güterpreise.

Alexander Rathke
«Das Grundproblem ist in den USA, im Euroraum und in der Schweiz gleich: Die Zentralbanken müssen die Zinsen anheben, weil die Inflation zu hoch ist.»
Alexander Rathke
Alexander Rathke, KOF-Ökonom

Die Leitzinsen liegen nun bei 1% in der Schweiz, 2.5% im Euroraum und in den USA in der Spanne zwischen 4.25 und 4.5%. Haben wir damit schon einen neutralen Zins, das heisst eine Geldpolitik, die weder restriktiv noch expansiv ist, erreicht?

Rathke: Das Konzept des neutralen Zinses ist komplex und umstritten. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Geldpolitik weniger expansiv als vorher ist. Aber ob wir schon in einem neutralen Bereich sind, ist schwer zu sagen.

Seiler: Als die Notenbanken mit der Erhöhung ihrer Leitzinsen begannen, war das Tempo entscheidend. Zuletzt sind die Zinsschritte wieder kleiner geworden und in naher Zukunft werden wir wohl keine Jumbo-Schritte von 0.75 Prozentpunkten mehr sehen. Als Erstes dürfte die US-Notenbank in die nächste Phase der Zinspolitik eintreten. Wichtiger als die Geschwindigkeit wird dann die Frage, wie hoch die Zinsen steigen und wie lange sie dort verharren müssen. Die Zentralbanken werden wohl versuchen, sich langsam und schrittweise an dieses Niveau heranzutasten, und dabei die kumulativen Effekte ihrer bisherigen geldpolitischen Straffung und deren zeitliche Verzögerung sorgfältig prüfen.

Wie lange werden die Zinsen noch steigen?

Seiler: Wir gehen an der KOF davon aus, dass die Zinsen noch bis Mitte 2023 ansteigen werden. Die Federal Funds Rate wird dann das höchste Niveau erreichen. Die EZB wird die Zinsen noch stärker anheben, als die Finanzmärkte bisher erwartet haben. Auch die SNB wird die Zinsen weiter anheben, allerdings wird sie einen Teil der traditionellen Zinsdifferenz wiederherstellen. Zinssenkungen, über die an den Finanzmärkten schon spekuliert worden waren, sehen wir bis zum Prognosehorizont Ende 2024 aber nicht.

Während der Finanzkrise und der Corona-Krise haben sich die Bilanzen der Zentralbanken extrem ausgeweitet. Wie kommen die Zentralbanken bei der Bilanzverkürzung voran?

Rathke: In den USA läuft die Bilanzverkürzung schon länger. Die EZB will ihre Anleihebestände ab März schrittweise zurückfahren. Die SNB hat derzeit keine expliziten Bilanzabbauziele. Die hohe Bilanzsumme der SNB ist ein Nebenprodukt der vergangenen Wechselkurspolitik, als sie Fremdwährungen gekauft hat, um den Franken zu schwächen. Die SNB hat nun in den vergangenen Monaten Devisen verkauft. Dies führt zu einer Verkürzung ihrer Bilanz.

«Wir gehen davon aus, dass der Franken in diesem Jahr weiter nominal aufwerten wird.»
Pascal Seiler, KOF-Ökonom

Welche Entwicklung erwartet die KOF beim Frankenkurs?

Seiler: Wir gehen davon aus, dass der Franken in diesem Jahr weiter nominal aufwerten wird. Dafür spricht das Inflationsgefälle zu anderen Währungsräumen und das Interesse der SNB an einem starken Franken, um die importierte Inflation im Zaum zu halten.

Wie wird sich die Inflation in der Schweiz in diesem und im nächsten Jahr entwickeln?

Seiler: Die Inflation dürfte in diesem Jahr durch verschiedene gegenläufige Effekte geprägt sein. Zum einen könnten mögliche Zweitrundeneffekte und die Anhebung administrierter Preise (z. B. Elektrizität) zu Beginn des Jahres die Inflation weiter anheizen. Es besteht auch die Gefahr, dass eine restriktivere Geldpolitik mittelfristig zu höheren Mietpreisen führen könnte. Zum anderen dürften auslaufende Basiseffekte bei den Energiepreisen, das Abklingen von Störungen in den internationalen Lieferketten und eine weitere Aufwertung des Schweizer Frankens den Inflationsdruck verringern. Insgesamt erwarten wir für die Schweiz eine Inflation von 2.3% in diesem Jahr und 1.1% im nächsten Jahr. Auch im Euroraum und in den USA rechnen wir mit tieferen Inflationsraten (siehe Grafik G 1). Diese dürften jedoch selbst bis zum Ende des Prognosehorizonts im Jahr 2024 noch über den jeweiligen Inflationszielen zu liegen kommen.

Rathke: Gemäss unseren KOF Konjunkturumfragen wollen viele Unternehmen in diesem Jahr ihre Preise erhöhen, um ihre erhöhten Produktionskosten an die Konsumenten und Konsumentinnen weiterzugeben (siehe Grafik G 2). Dadurch verbreitert sich die Inflation (siehe Grafik G 3). Sie besteht nicht nur aus Energiepreissteigerungen und einigen Gütern, die besonders von der Pandemie betroffen waren. Deshalb wird die Inflation in diesem Jahr – für Schweizer Verhältnisse – relativ hoch bleiben.

Besteht in der Schweiz die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale?

Rathke: Aktuell nicht. Wenn Löhne einen Kaufkraftverlust in der Vergangenheit ausgleichen, ist das noch keine Lohn-Preis-Spirale. Zur Spirale wird es erst, wenn sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln, weil die erwartete Inflation im Voraus durch überhöhte Lohnforderungen vorweggenommen wird. Das ist in der Schweiz derzeit nicht zu beobachten.

Es gibt viele Megatrends wie den demografischen Wandel, den Kampf gegen den Klimawandel und eine Deglobalisierung, die tendenziell die Inflation befördern. Wäre es dann nicht sinnvoll, das Inflationsziel der Zentralbanken von derzeit 2% auf 3% anzuheben?

Rathke: Grundsätzlich gab es solche Überlegungen nach der Finanzkrise. Die Idee war, dass dies die Wahrscheinlichkeit senken würde, dass die Zinsen an ihre effektive Untergrenze stossen würden. Aber jetzt ist der völlig falsche Zeitpunkt für so eine Debatte. Denn damit würden sich die Notenbanken bei der Inflationsbekämpfung unglaubwürdig machen.

Die aktuelle Konjunkturprognose der KOF finden Sie externe Seitehier.

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