Arbeitsmarktbeschränkungen für Geflüchtete

Die Einschränkung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Geflüchtete reduziert deren Erwerbswahrscheinlichkeit und Löhne langfristig. Dadurch entstehen hohe Kosten für Geflüchtete und Aufnahmegesellschaften.

Geflüchtete haben oft niedrigere Beschäftigungsquoten und Löhne als Ansässige. Die Gründe für diese Unterschiede sind vielfältig: Unterschiedliche Qualifikationen, Präferenzen und Diskriminierung können dazu führen, dass Geflüchtete schlechter in den Arbeitsmarkt integriert sind. Ein weiterer Faktor, der möglicherweise zu den unterschiedlichen Beschäftigungsquoten beiträgt, sind politische Massnahmen, die Beschäftigungsmöglichkeiten von Migranten und Migrantinnen einschränken und sie – zumindest zeitweise – vom Arbeitsmarkt ausschliessen. Solche Arbeitsmarktbeschränkungen sind in europäischen Ländern weit verbreitet. Sie reichen von zeitlich befristeten Beschäftigungsverboten nach Einreise bis hin zu Arbeitsverboten in bestimmten Wirtschaftszweigen.

Aber was sind die Auswirkungen dieser Regelungen? Gemäss einer neuen Studie des Immigration Policy Lab und der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich können die Auswirkungen der Regelungen für Geflüchtete schwerwiegend und für die Aufnahmegesellschaft kostspielig sein.

Kantonal unterschiedliche Regelungen

Die Effekte von Arbeitsmarktrestriktionen sind nur schwer messbar. Das liegt daran, dass eine Vielzahl von Faktoren – von persönlichen Charakteristika der Geflüchteten bis zu gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit – dazu beitragen können, ob sich Geflüchtete erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren. Generell ist es schwierig, den Effekt von Arbeitsmarktrestriktionen von diesen anderen Faktoren zu trennen.

Das Forschungsteam an der ETH Zürich hat einen Weg gefunden, die kurz- und langfristigen Folgen von Arbeitsmarktbeschränkungen zu analysieren. Dazu erstellte das Team in aufwendigen Recherchen einen neuen Datensatz, der zeigt, wie die Schweizer Kantone die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten in den Jahren 1999–2016 regulierten. Der Datensatz erlaubt es, die Effekte von vier weitverbreiteten Arbeitsmarktrestriktionen am Beispiel der Schweiz zu untersuchen: (i) das Arbeitsverbot für die erste Zeit nach der Ankunft, (ii) der Inländervorrang, der Ansässige auf dem Arbeitsmarkt priorisiert, (iii) Sektorbeschränkungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt auf bestimmte Branchen begrenzen, und (iv) Regionsbeschränkungen, die entstehen, weil Geflüchtete in benachbarten Kantonen keine Arbeitserlaubnis erhalten.

Die Schweiz ist aus mehreren Gründen ideal dafür geeignet, den Einfluss von diesen Restriktionen zu untersuchen. Erstens hat der hohe Grad von Föderalismus in der Schweiz zur Folge, dass es bei den Restriktionen grosse Unterschiede gibt – sowohl zwischen den Kantonen als auch über die Zeit. So variierte im Untersuchungszeitraum die Frist, die Geflüchtete warten mussten, bis sie eine Stelle antreten können, zwischen drei und 14 Monaten, je nachdem, zu welcher Zeit eine Person angekommen ist und welchem Kanton sie zugeteilt wurde. Unten stehende Abbildung zeigt die Entwicklung der Integration in den Arbeitsmarkt abhängig von der Länge der Wartefrist.

Zweitens werden Asylsuchende in der Schweiz den verschiedenen Kantonen praktisch zufällig zugewiesen und die meisten können während fünf Jahren oder mehr nicht einfach in einen anderen Kanton umziehen. Dominik Hangartner, Professor für Politikanalyse an der ETH Zürich, erklärt: «Wenn Asylsuchende selbst auswählen könnten, in welchen Kanton sie ziehen, könnten sich jene mit guten Chancen am Arbeitsmarkt für einen Kanton mit einer liberalen Praxis entscheiden. Das würde es schwer machen, den Einfluss der Arbeitsmarktbeschränkungen auf die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten zu analysieren.»

Negative Auswirkungen auf Erwerbstätigkeit

Statistische Analysen des Forschungsteams zeigten nun, dass alle vier Arbeitsmarktrestriktionen das Einkommen und die Beschäftigung von Geflüchteten in den ersten Jahren nach Einreise deutlich reduzieren. Die Resultate deuten darauf hin, dass die Beschäftigungschancen für Geflüchtete von 11% auf 19% steigen würden, wenn ein Kanton von den restriktivsten zu den liberalsten Kantonsregelungen wechseln würde.

Das Forschungsteam hat auch untersucht, wie schnell diese negativen Effekte der Arbeitsmarktrestriktion auftreten. Es zeigte sich: Noch in jenem Monat, in dem der Inländervorrang durchgesetzt wird oder die Flüchtlinge in weniger Kantonen oder Sektoren arbeiten dürfen, kommt es zu einem deutlichen Rückgang der Beschäftigungsquote und des Einkommens (vgl. Grafik G 2). Diese negativen Auswirkungen werden im Verlauf der darauffolgenden Monaten noch grösser. Die Effekte rühren primär daher, dass es für Flüchtlinge schwieriger wird, eine Stelle zu finden, wenn sie noch keine haben.

Ausserdem zeigte sich, dass Arbeitsmarktrestriktionen die Beschäftigung und Einkommen auch dann noch beeinträchtigen, wenn diese für die betreffenden Flüchtlinge gar nicht mehr gelten. Die negativen Auswirkungen eines Inländervorrangs und des Arbeitsverbots bei Ankunft bestehen bis zu drei Jahre weiter. Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktökonom an der KOF Konjunkturforschungsstelle, sagt: «Dieses Phänomen ist aus anderen Kontexten bekannt und wird als ‹scarring effect› bezeichnet – zu deutsch Vernarbungseffekt. Schlechte Bedingungen beim Arbeitsmarkteinstieg können lang anhaltende negative Auswirkungen auf Arbeitsmarktbiografien zur Folge haben.»

Tiefere Löhne

Das Team ging schliesslich auch der Frage nach, wie sich die Restriktionen auf den Stundenlohn jener Geflüchteten auswirken, die einen Job finden. Dafür schätzte das Forschungsteam auch, wie viele potenzielle Arbeitsplätze für Geflüchtete wegfallen, weil sie in gewissen Sektoren und Nachbarkantonen nicht arbeiten dürfen. Diese Schätzung legt nahe, dass diese beiden Einschränkungen die Zahl verfügbarer Stellen für gewisse Geflüchtete um fast zwei Drittel reduzieren. Das Team konnte darüber hinaus zeigen, dass der Stundenlohn um über 2% sinkt, wenn die Zahl von verfügbaren Stellen für Geflüchtete aufgrund dieser Beschränkungen um 10% tiefer ist.

Aber aus welchen Gründen reduzieren diese Beschränkungen die Verdienstmöglichkeiten von Geflüchteten? Eine mögliche Erklärung ist, dass sektorale und regionale Restriktionen die Produktivität der Geflüchteten senken. So könnten Sektorrestriktionen Geflüchtete zwingen, in Branchen mit tiefer Produktivität und entsprechend tiefem Verdienst zu arbeiten. Oder die Restriktionen könnten dazu führen, dass sich Geflüchtete weniger Arbeitserfahrung in der Schweiz aneignen können. Das Forschungsteam fand aber nur wenig Hinweise darauf, dass solche Produktivitätseffekte für die tieferen Löhne aufgrund von sektoralen und regionalen Restriktionen verantwortlich sind. Michael Siegenthaler sagt hierzu: «Die Restriktionen scheinen das Prinzip ‹gleicher Lohn für gleiche Arbeit auszuhebeln.»

Die Autoren liefern Evidenz, dass der Grund hierfür geringere «Outside Options» in restriktiven Kantonen sind – also eine kleinere Zahl an alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten. Weil Branchen- und Regionsbeschränkungen die Zahl der Stellen senken, welche Geflüchtete potenziell antreten können, schwächen sie die Position von Geflüchteten in Lohnverhandlungen und machen sie von einzelnen Arbeitgebern abhängig.

Zudem finden sie weniger häufig eine Stelle, die vergleichsweise gut bezahlt ist. Die schlechteren Outside Options zeigen sich in den Daten etwa darin, dass Geflüchtete aufgrund von Restriktionen weniger oft die Stelle wechseln. Geflüchtete reagieren in restriktiveren Kantonen auch weniger mit einer Kündigung auf Lohnsenkungen als in Kantonen mit weniger Beschränkungen. Andreas Beerli, Arbeitsmarktökonom an der KOF, sagt: «Unsere Resultate legen nahe, dass der individuelle Lohn massgeblich davon abhängt, wie viele Jobs für einen im Arbeitsmarkt infrage kommen. Dies ist naheliegend, war bis dato aber schwer zu beweisen. Denn die Outside Options kann man in den Arbeitsmarktdaten typischerweise schlicht nicht beobachten. Zudem sind individuelle Veränderungen in den Outside Options meist nicht zufällig.»

Kosten und Nutzen von Restriktionen

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Arbeitsmarktrestriktionen ein wichtiger Grund dafür sind, warum Geflüchtete niedrigere Beschäftigungsquoten und Löhne haben als vergleichbare, bereits ansässige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Weshalb sind diese dennoch so weitverbreitet?

Eine Motivation für Restriktionen könnte es sein, die Arbeitsplätze von anderen Gruppen zu schützen, die wahrscheinlich mit Geflüchteten um Stellen konkurrieren. Laut der ETH-Studie gibt es aber wenig Hinweise darauf, dass die Einschränkungen die Arbeitsmarktsituation anderer vulnerabler Gruppen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. So haben die Restriktionen keinen messbaren Einfluss auf das monatliche Einkommen von Migranten und Migrantinnen aus EU-15-Ländern mit tiefem Einkommen, die im selben Kanton wohnen.

Ein anderer Grund, der bei politischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen verbreitet ist, um Restriktionen zu rechtfertigen, ist es, die Geflüchteten – insbesondere von jenen mit einer vorläufigen Aufnahme – zu einer Auswanderung zu bewegen. Ein Blick in die Daten zeigt aber, dass Geflüchtete aufgrund der Restriktionen nicht wahrscheinlicher emigrieren. Achim Ahrens, Senior Data Scientist am Immigration Policy Lab, folgert: «Restriktionen können für Aufnahmegesellschaften sehr kostspielig sein, da Geflüchtete mit Sozialhilfe unterstützt werden müssen.»

Die Ergebnisse legen nahe, dass die Einschränkungen nur schwer ökonomisch zu rechtfertigen sind. Während Einschränkungen im Arbeitsmarktzugang zu hohen Kosten für die Geflüchteten führen, bieten sie gleichzeitig nur wenig Vorteile für andere Migranten und Migrantinnen und die Aufnahmegesellschaft. Die Schweiz und viele andere Länder, die ähnliche Arbeitsmarktrestriktionen anwenden, dürften also einen hohen Preis dafür bezahlen.

Das Working Paper «The Labor Market Effects of Restricting Refugees’ Employment Opportunities» finden Sie hier: https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/595935

Ansprechpersonen

Dr. Andreas Beerli
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 116
  • +41 44 633 82 35

KOF FB KOF Lab
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Michael Siegenthaler
Dozent am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 301
  • +41 44 633 93 67

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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