Die Schwäche der globalen Konjunktur dauert an

Eine restriktive Geldpolitik, eine zwar sinkende, aber weiterhin hohe Inflation und multiple Unsicherheiten werden die Weltwirtschaft auch in diesem Jahr bremsen. Erst 2025 wird sich die globale Konjunktur gemäss der KOF Konjunkturprognose wieder etwas dynamischer entwickeln.

Seit dem Jahr 2022 ist die globale Konjunkturdynamik gedämpft und auch im dritten Quartal 2023 blieb die Zunahme der Weltproduktion wie erwartet unterdurchschnittlich. Die hohe Inflation schränkt die Kaufkraft ein und die Geldpolitik wirkt restriktiv. Eine hohe politische und wirtschaftliche Unsicherheit verstärkt zudem die Konsum- und Investitionszurückhaltung. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres dürfte die globale Konjunktur ebenfalls schwach bleiben, wie beispielsweise Sentiment-Indikatoren für den Euroraum nahelegen.

In diesem Jahr dürfte dann eine schrittweise, aber wenig dynamische Erholung einsetzen. Die globale Teuerung ist nach ihrem Höhepunkt Ende des Jahres 2022 wie erwartet weiter gesunken. Allerdings dürfte es noch einige Zeit dauern, bis die Inflationsraten im Euroraum und in den USA wieder Werte nahe 2% erreichen. Entsprechend erwartet die KOF – im Gegensatz zu manchen Finanzmarktakteuren – kaum Zinssenkungen in diesem Jahr.

Weltproduktion expandierte seit dem Jahr 2022 unterdurchschnittlich

Der Aufholbedarf nach der COVID-19-Krise liess die Weltproduktion im Jahr 2021 stark ansteigen. Angebotsengpässe und Lieferkettenprobleme beschränkten die Expansion jedoch im ersten Halbjahr 2022. Hinzu kamen die massiven Energiepreisanstiege und Versorgungsunsicherheiten im Zuge des Krieges in der Ukraine. Während die angebotsseitigen einschränkenden Faktoren schrittweise an Bedeutung verloren haben, bauten sich zunehmend nachfrageseitige Hemmnisse auf. So reduzierte der 2021 eingesetzte Inflationsschub die Kaufkraft der Haushalte, was den privaten Konsum beschränkt.

Zudem wirkt die Geldpolitik derzeit restriktiv und dämpft somit die Investitionsneigung. Die aktuell hohe Unsicherheit ist ein weiterer wichtiger Beschränkungsfaktor (mehr dazu weiter unten). Als Konsequenz verzeichnete die mit Schweizer Exportanteilen gewichtete globale Produktion im dritten Quartal 2023 mit annualisiert 1.5% einen unterdurchschnittlichen Zuwachs (annualisierte Zuwachsrate im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre: 2%).

US-BIP im dritten Quartal stärker als erwartet, deutsches BIP wie erwartet geschrumpft

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) des Euroraums schrumpfte im dritten Quartal 2023 um annualisiert 0.2%. Vor allem Deutschland zog aufgrund eines Konsumrückgangs das Aggregat nach unten (–0.5%), während das französische BIP dank einer soliden Inlandsnachfrage um 0.4% zulegte und das italienische BIP immerhin geringfügig stieg (+0.2%). Das US-BIP legte kräftiger zu als erwartet (+4.9%), getrieben von einem starken Lagerbeitrag und hohem Konsumzuwachs. Neben der immer noch guten Arbeitsmarktsituation dürfte ein fortgesetzter Abbau von Überersparnissen für die starke Konsumdynamik verantwortlich sein, ganz im Gegensatz zum Beispiel zu Deutschland, wo Vorsichtssparen vorherrscht. Auch das chinesische BIP stieg im dritten Quartal angesichts einer relativ schwachen Indikatorenlage überraschend stark (+5.3%). Dagegen schrumpfte das BIP Japans im dritten Quartal (–2.1%) nach einem kräftigen Anstieg im ersten Halbjahr 2023.

Rückgang des Energiepreisbeitrags hauptverantwortlich für Sinken der Inflation

Nachdem die Konsumentenpreisinflation im Jahr 2022 bzw. Anfang 2023 vielerorts historische Hochstände erreicht hatte (Euroraum: 10.6% im Oktober 2022, USA: 9.1% im Juni 2022, Vereinigtes Königreich: 11.1% im Oktober 2022, Japan: 4.3% im Januar 2023), hielt der Abwärtstrend bis zuletzt fast überall an. Im November 2023 lag die Teuerung im Euroraum nur noch bei 2.4%, in den USA betrug sie im Oktober 3.2%, im Vereinigten Königreich 4.6% und in Japan 3.3%. Hauptgrund für die sinkenden Inflationsraten im Jahresverlauf 2023 ist der Rückgang des Beitrags der Energiepreiskomponente zur Gesamtinflation.

Auch die für die Geldpolitik in der Regel massgebliche Kerninflation, d.h. die Teuerung exklusive der volatilen Preise für Energie und Lebensmittel, gab in den vergangenen Monaten im Euroraum, in den USA und im Vereinigten Königreich nach, sie liegt aber immer noch deutlich über den Zielwerten (Euroraum: 4.2% im November, USA: 4% im Oktober, Vereinigtes Königreich: 6.3% im Oktober). In Japan zog die Kerninflation im Jahresverlauf deutlich an und lag bei 2.7% im Oktober. So hohe Werte gab es zuletzt Anfang der 1990er Jahre. Ganz anders entwickelte sich die Inflation im derzeit durch die Immobilienkrise beeinträchtigten China. Infolge der flauen Konjunktur liegen die Veränderungsraten sowohl des Kern- als auch des Gesamtpreisindex seit Frühjahr 2023 nahe null.

Geldpolitik restriktiv ausgerichtet

Aufgrund der sinkenden Inflation und der vielerorts schwachen bzw. sich abschwächenden Konjunktur haben die grossen Zentralbanken zuletzt auf weitere Zinserhöhungen verzichtet. Die letzte Erhöhung des Hauptrefinanzierungssatzes der Europäischen Zentralbank (EZB) datiert vom 23. September 2023 (+25 Basispunkte auf 4.75%), der letzte Anstieg der «federal funds rate» der US-Notenbank (Fed) bereits vom 26. Juli 2023 (+25 Basispunkte auf ein Zielband von 5.25% bis 5.5%) und derjenige der «bank rate» der Bank of England vom 3. August 2023 (+25 Basispunkte auf 5.25%). Als Konsequenz der vergangenen Zinsanstiege wirkt die Geldpolitik vielerorts deutlich restriktiv, das heisst, dass die Realzinsen über den natürlichen Zinsen liegen. Dies, obwohl die Inflationserwartungen derzeit höher sind als in der Vergangenheit, was die Realzinsen für sich genommen senkt.

Ganz anders als die vorgenannten Zentralbanken verfährt die japanische Notenbank. Sie hielt bisher an ihrer ultraexpansiven Geldpolitik mit wenigen Retuschen fest. Angesichts einer bereits seit Langem auf Reflationierung ausgerichteten Wirtschaftspolitik dürfte der Inflationsanstieg in Japan als Erfolg angesehen werden, auch wenn die Zentralbank betont, dass dieser bisher nicht nachhaltig ist. Die chinesische Zentralbank verfolgt aufgrund des schwachen chinesischen Wirtschaftsgangs einen expansiven Kurs mittels Zinssenkungen und verstärkten Liquiditätsinjektionen.

Multiple Unsicherheiten dämpfen globale Konjunktur auch in diesem Jahr

In vergangenen und in diesem Quartal werden die vielfältigen Unsicherheiten die globale Konjunkturentwicklung dämpfen. Aufgrund des unsicheren Inflationsausblicks und der gedämpften Stimmung neigen insbesondere die europäischen Haushalte derzeit zu Vorsichtssparen. Entsprechend dürfte die Konsumdynamik zunächst schwach bleiben. Die hohe geopolitische Unsicherheit drückt zudem auf die Investitionsstimmung. Hinzu kommen wirtschaftspolitische Unsicherheiten in manchen Ländern, wie z.B. die wiederkehrende Gefahr eines Regierungsshutdowns in den USA.

Daneben ist die restriktive Geldpolitik ein weiterer wichtiger Faktor für die schwache Investitionsdynamik in vielen Ländern. Auch fiskalische Impulse, die den Aufschwung nach der Corona-Krise befeuerten, sind derzeit Fehlanzeige. So dauert die Vergabe und Implementierung der Mittel aus der EU Recovery and Resilience Facility, von denen insbesondere Italien profitiert, länger bzw. geschieht gradueller als bisher erwartet. Eine fiskalpolitische Ausnahme bildet derzeit China, das im Oktober angesichts schlechter Wirtschaftsindikatoren ein schuldenfinanziertes Infrastrukturprogramm beschloss sowie den Lokalregierungen erlaubte, die Aufnahme neuer Kredite bzw. die Überwälzung alter Kredite vorzuziehen. Diese dürfte die BIP-Expansion in China kurzfristig erhöhen, mit leicht positiven Rückwirkungen auf die Weltwirtschaft (relativ zu einer Situation, in der die chinesische Konjunktur wieder ins Trudeln gerät).

Für das zweite Halbjahr 2024 ist von einer konjunkturellen Erholung auszugehen, allerdings fehlen derzeit die Faktoren für einen kräftigen Aufschwung. Für das Gesamtjahr 2023 erwartet die KOF eine Zunahme des mit Schweizer Exporten gewichteten Welt-BIP um 1.5% (Herbstprognose: 1.4%). Die Prognosen für 2024 und 2025 lauten auf 1.6% sowie 2%. Dies stellt eine Abwärtsrevision im Vergleich zur Prognose vom Herbst dar (1.9% und 2.2%). Die BIP-Prognosen für den Euroraum für 2023 bis 2025 lauten auf 0.5%, 0.9% und 1.5%. Für die USA prognostiziert die KOF 2.4%, 1.6% und 1.7%.

Kerninflation wird in diesem Jahr sinken

Die gedämpfte Konjunktur dürfte im Prognosezeitraum zu einer weiteren Abnahme der Kerninflation im Euroraum, in den USA und anderen Ländern führen. Allerdings erwartet die KOF, dass der Rückgang harzig verläuft. So dürften die Inflationsraten in wichtigen Ländern des Euroraums, den USA und im Vereinigten Königreich auch Ende 2024 noch über den Zielwerten liegen. Ein Grund hierfür ist, dass die weiterhin vielerorts solide Arbeitsmarktlage sowie hohe Lohnforderungen (zwecks Kompensation vergangener Reallohnverluste) die Lohndynamik auch in diesem Jahr antreiben werden.

Die Lohnanstiege werden angesichts einer zwar unterdurchschnittlichen, aber nicht krisenhaften Konjunkturentwicklung teilweise auf die Konsumentenpreise überwälzt. Für den Euroraum erwartet die KOF eine Inflation von 5.5% für 2023, 2.5% für 2024 sowie 2.1% für 2025. Für die USA wird eine Inflation von 4.1% für 2023, 2.8% für 2024 und 2.4% für 2025 erwartet. Angesichts dieser Prognosen sieht die KOF keinen Grund dafür, dass die EZB und die Fed vor Mitte 2024 Zinssenkungen einleiten.

Kurzfristige Risiken wegen Energiepreisentwicklung, mittelfristige Risiken durch hohe Verschuldung

Der Prognose liegt die technische Annahme zugrunde, dass die Energiepreise im Zeitraum von 2024 bis 2025 real konstant bleiben. Ein Prognoserisiko besteht darin, dass die Energiepreise – beispielsweise im Zuge einer weiteren Verschärfung der Konflikte im Nahen Osten sowie zwischen den USA/der EU und Russland – deutlich steigen, die Inflation wieder anspringt und die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Umgekehrt könnte ein Preisverfall bei den Energiepreisen die Zentralbanken zu vorzeitigen Zinssenkungen verleiten, was ceteris paribus die Konjunkturdynamik animieren würde. Die Zinsanstiege der Vergangenheit haben mancherorts die zuvor teils stark gestiegenen Immobilienpreise unter Druck gesetzt. Es besteht die Gefahr lokaler Immobilienkrisen, die sich über die internationalen Finanzmärkte zu einer globalen Krise ausweiten könnten.

Die Immobilienkrise in China geht nur deshalb für die globale Wirtschaft glimpflich aus, weil China seinen Finanzmarkt bisher nur wenig für ausländische Banken geöffnet hat. Ein mittelfristiges Abwärtsrisiko besteht in der hohen öffentlichen Verschuldung in vielen Ländern. Diese erscheint angesichts der allmählich ansteigenden Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte für manche Länder nicht dauerhaft tragfähig.

Ansprechpersonen

Dr. Heiner Mikosch
  • LEE G 205
  • +41 44 632 42 33

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Philipp Kronenberg
  • LEE G 207
  • +41 44 632 84 61

KOF FB Konjunktur
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Maurizio Daniele
  • LEE G 209
  • +41 44 632 25 53

KOF FB Konjunktur
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert