Warum Wahlen auch in starken Demokratien zu Steuerverschwendung führen können

Wenn Politiker oder Politikerinnen einmal im Amt sind, wollen sie an der Macht zu bleiben. In Demokratien können Politiker oder Politikerinnen daher versucht sein, vor Wahlen verschwenderische Ausgaben zu tätigen, um die Wahlberechtigten von ihren wirtschaftlichen Verdiensten zu überzeugen. Eine aktuelle Studie mit Beteiligung der KOF zeigt, dass Fiskalmanipulationen weiter verbreitet und komplexer sind.

«Die Demokratie kann nur dann erfolgreich sein, wenn diejenigen, die ihre Wahl treffen, darauf vorbereitet sind, weise zu wählen. Der wahre Schutz der Demokratie ist daher die Bildung [...] jeden Bürger darauf vorzubereiten, klug zu wählen, und ihn in die Lage zu versetzen, frei zu wählen, sind die vorrangigen Aufgaben der Schulen in einer Demokratie.»
Franklin D. Roosevelt

Ein typisches Argument in der Literatur zur fiskalischen Manipulation ist, dass Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen versteckte fiskalische Ausgaben tätigen, um uninformierte Wähler und Wählerinnen von ihrer Kompetenz zu überzeugen. Theoretisch sollte eine solche staatliche Manipulation vor allem in Entwicklungsländern mit schwachen Demokratien vorkommen und gut funktionieren, nicht aber in entwickelten und demokratischen Ländern mit starken Institutionen. Dennoch werden in der empirischen Literatur solche Zyklen auch in starken Demokratien beobachtet, wenn auch in etwas abgeschwächter Form.

Eine Studie von KOF Ökonom Lamar Crombach und Frank Bohn (Radboud University) beschreibt, dass fiskalische Manipulationen auf zwei Arten wirksam sein können. Erstens muss es gelingen, einen Teil des Wahlvolks davon zu überzeugen, dass der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin kompetenter ist, als dies tatsächlich der Fall ist. Diese Art von Wählern oder Wählerinnen, die oft als uninformierte Wähler oder Wählerinnen bezeichnet werden, sind notwendig, damit ein gewisses Mass an fiskalischer Manipulation wirksam ist. Umgekehrt sind informierte Wähler und Wählerinnen in der Lage, zwischen finanzieller Manipulation und tatsächlicher Kompetenz zu unterscheiden. Wären alle Wähler und Wählerinnen informiert, würde die fiskalische Manipulation Kosten verursachen, ohne dass ein Wahlgewinn erzielt würde. Der Anteil der uninformierten Wähler und Wählerinnen stellt somit die Reichweite der fiskalischen Manipulation dar. Je höher die Reichweite, desto wirksamer ist die Manipulation.

Der optimale Grad der fiskalischen Manipulation hängt entscheidend von der wirtschaftlichen Stabilität eines Landes ab

Die zweite Art der Effektivität, die in dieser Studie einzigartig ist, ist die Überzeugungskraft der finanzpolitischen Manipulation. Während uninformierte Wähler und Wählerinnen für fiskalische Manipulationen empfänglich sind, reicht ein bestimmtes Mass an Manipulation möglicherweise nicht aus, um einen uninformierten Wähler oder eine uninformierte Wählerin davon zu überzeugen, für den Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin zu stimmen. Die Studie argumentiert, dass das notwendige Mass an fiskalischer Manipulation, um einen uninformierten Wähler oder eine uninformierte Wählerin zu überzeugen, entscheidend von der wirtschaftlichen Stabilität eines Landes abhängt. In einem instabilen Umfeld haben die Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen Schwierigkeiten, sich von ihren Gegnern und Gegnerinnen zu unterscheiden, da das Wahlvolk die wirtschaftlichen Verdienste des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin im Vergleich zu den Herausforderern nur schwer einschätzen können. Die Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen können sich nur durch ein relativ hohes Mass an fiskalischer Manipulation abheben.

Umgekehrt kann ein Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin in einem stabilen Umfeld mit nur geringen Manipulationen kompetenter erscheinen. Je stabiler also die wirtschaftliche Lage eines Landes ist, desto überzeugender sind die Manipulationen des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin. Fiskalische Ausgaben während der Wahlen sind daher am effektivsten, wenn sie eine grosse Anzahl von Wählern und Wählerinnen überzeugen können, was der Fall ist, wenn viele Wähler und Wählerinnen nicht informiert sind und als Folge der Instabilität unsicher über die Kompetenz des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin sind.

Der Grad der Uninformiertheit eines Wahlvolkes wird traditionell anhand der Indikatoren wie Bildung, Transparenz der Regierung und – wie in dieser Studie – des Grades der Pressefreiheit gemessen. Die Überzeugungskraft von Steuerausgaben ist komplexer und ohne empirischen Präzedenzfall. Die Forscher argumentieren, dass den Wählern und Wählerinnen die wirtschaftlichen Bedingungen sehr wichtig sind und sie diese als Indikator für die Kompetenz der Regierung ansehen. Um die Überzeugungskraft zu messen, verwenden die Forscher die historische Volatilität des Wirtschaftswachstums. In Ländern mit schwankenden Wachstumsraten haben die Wähler und Wählerinnen Schwierigkeiten, die relativen wirtschaftlichen Verdienste des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zu beurteilen. Ein Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin bräuchte ein aussergewöhnliches Mass an fiskalischer Manipulation, um sich zu differenzieren.

Demokratische Länder mit starken Institutionen haben relativ wenige uninformierte Wähler und Wählerinnen, aber die Ausgaben sind relativ überzeugend

In stabilen Ländern hingegen überzeugt eine kleine Verbesserung gegenüber dem Status quo viele uninformierte Wähler und Wählerinnen. Das heisst, obwohl es in entwickelten und demokratischen Ländern mit starken Institutionen relativ wenige uninformierte Wähler und Wählerinnen gibt, wird ein niedriges Ausgabenniveau aufgrund ihrer Stabilität relativ überzeugend sein. Umgekehrt gibt es in Entwicklungsländern mit schwachen Demokratien zwar viele uninformierte Wähler und Wählerinnen, aber ein unbeständiges Umfeld macht es dem Amtsinhaber oder der Amtsinhaberin schwer, sich von der Konkurrenz abzuheben.

Vergrösserte Ansicht: G 6: Ausmass der Steuerverschwendung nach Volatilität und Informiertheit der Wähler
G 6: Ausmass der Steuerverschwendung nach Volatilität und Informiertheit der Wähler

Grafik G 6 fasst das empirische Ergebnis auf der Grundlage von 70 Demokratien im Zeitraum von 1986 bis 2015 zusammen. Die vertikale Achse misst den Anteil des Bruttoinlandprodukts (BIP), der in einem Wahljahr im Vergleich zu einem Nicht-Wahljahr zusätzlich eingespart (+) oder ausgegeben (-) wird. Die horizontale Achse misst den relativen Grad der Volatilität des Wirtschaftswachstums der Länder. Beispielsweise zeigt -2σ das Ergebnis für alle Länder, die zwei Standardabweichungen weniger volatil sind als das Durchschnittsland (µ). Die blaue Linie zeigt die Auswirkung einer Wahl auf den Haushaltssaldo für verschiedene Volatilitätsniveaus in Ländern ohne volle Pressefreiheit, während die grüne Linie dasselbe für alle Länder mit voller Pressefreiheit zeigt.

Die Autoren kommen zum Schluss, dass ein Anstieg des Anteils uninformierter Wähler und Wählerinnen (von der grünen Linie, der Auswirkung von Wahlen auf den Haushaltssaldo in Ländern mit Pressefreiheit, zur blauen Linie, der Auswirkung von Wahlen ohne Pressefreiheit) die Haushaltsausgaben in volatileren Volkswirtschaften verschlimmert, während eine eingeschränkte Pressefreiheit diese Ausgaben in stabilen Volkswirtschaften senkt. Für die durchschnittliche Makroökonomie hat die Pressefreiheit keinen Einfluss auf fiskalische Manipulationen.

Besser informierte Wähler und Wählerinnen führen nicht zwangsläufig zu einer umsichtigen Haushaltsführung

Insgesamt zeigt die Studie, dass ein besser informiertes Wahlvolk nicht immer zu einer umsichtigen Haushaltspolitik in Wahljahren führt. In Demokratien mit stabilen Wachstumsraten sind solche Steuerausgaben sehr überzeugend. Es bedarf nur einer kleinen Manipulation, um einen uninformierten Wähler oder eine uninformierte Wählerin von den wirtschaftlichen Vorzügen des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zu überzeugen. Wenn also der Anteil der uninformierten Wähler und Wählerinnen steigt, kann es für den Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin optimal sein, die Steuerausgaben zu senken, da er oder sie mit mehr uninformierten Wählern und Wählerinnen und weniger Ausgaben die gleiche Wahrscheinlichkeit der Wiederwahl erreichen kann. Schliesslich zeigt die Theorie zwar, dass ein Anstieg des Anteils der uninformierten Wähler und Wählerinnen in stabilen Demokratien zu weniger verschwenderischen Ausgaben führt, aber er ermöglicht es auch einem inkompetenten Amtsinhaber oder einer inkompetenten Amtsinhaberin, wiedergewählt zu werden: ein unattraktives Unterfangen.

Literatur

Crombach, L. & F. Bohn (2024): Uninformed voters with (im)precise expectations: Explaining political budget cycle puzzles. Economics & Politics, 36(1), 275-311. externe Seitehttps://doi.org/10.1111/ecpo.12237  

Ansprechperson

Lamar Crombach
  • LEE F 107
  • +41 44 632 25 96

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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