Können mit MINT-Veranstaltungen mehr Schüler und Schülerinnen für technische Studiengänge gewonnen werden?

Eine Studie der KOF zeigt, dass die Teilnahme an MINT-Veranstaltungen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Schülerinnen und Schüler später ein solches Fach studieren. Vor allem Veranstaltungen, an denen ein grösserer Anteil an Expertinnen präsentiert, haben einen starken Effekt. Der positive Effekt von zusätzlichen Referentinnen beschränkt sich jedoch nicht nur auf Schülerinnen. Auch Schüler wählen eher MINT-Fächer nach der Teilnahme an Veranstaltungen mit einem höheren Expertinnenanteil.

In technischen Studiengängen sind in der Schweiz Studentinnen immer noch untervertreten. In den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) beträgt der Frauenanteil an den Schweizer Universitäten und Fachhochschulen 35%. Nur zwei von zehn Studienplätzen in Informatik wurden 2023 bei den neu eintretenden Studierenden von einer Frau besetzt. Dieses Missverhältnis ist eine Herausforderung, gerade auch weil Unternehmen in diesem Bereich mit einem ausgeprägten Fachkräftemangel zu kämpfen haben.

In der Schweiz zielen daher viele Förderprogramme darauf ab, Schüler und insbesondere Schülerinnen für MINT-Studiengänge zu begeistern. Auch die ETH Zürich und die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) engagieren sich in diesem Bereich. Beide Organisationen besuchen jedes Jahr mit einer eigenen Veranstaltungsreihe verschiedene Gymnasien in der ganzen Schweiz, um bei Schülerinnen und Schülern das Interesse an MINT-Fächern und MINT-Berufen zu steigern. Für die Veranstaltungen werden die Schülerinnen und Schüler während ein bis zwei Tagen vom Unterricht freigestellt und erhalten die Möglichkeit, an ihrer Schule Referate oder Module zu verschiedenen MINT-Themen zu besuchen. Die Referate werden von Experten oder Expertinnen aus dem MINT-Bereich gehalten. Seit 2004 haben beide Organisationen über 180 Veranstaltungen an Schweizer Gymnasien durchgeführt.

Neue Datengrundlage, um Einfluss von MINT-Veranstaltungen zu analysieren

Wie wirken sich solche Veranstaltungen auf die Wahrscheinlichkeit aus, als Maturandin oder Maturand später ein MINT-Studium aufzunehmen? Eine Studie der KOF geht dieser Frage anhand von neuen Daten nach.

Um die Auswirkungen der Veranstaltungen zu untersuchen, wurden für die Studie die Flyer von allen Veranstaltungen, welche zwischen 2004 und 2019 stattgefunden haben, digitalisiert. Durch die Veranstaltungsflyer lässt sich rekonstruieren, an welchen Schulen zu welchem Zeitpunkt Veranstaltungen durchgeführt wurden. Ausserdem lässt sich für jede Veranstaltung nachverfolgen, welche Expertinnen und Experten zu welchen Themen referiert haben. Insgesamt umfasst die Analyse 183 Events mit über 4000 Präsentationen, die von mehr als 1500 unterschiedlichen Referierenden gehalten wurden.

Diese Daten werden mit administrativen Bildungsdaten des Bundesamts für Statistik zusammengeführt. Die Administrativdaten erlauben es, die Studienfachwahl und die Studienabschlüsse von allen 350 000 Schülerinnen und Schülern nachzuverfolgen, die zwischen dem Schuljahr 1999/00 und 2019/20 die Maturität erworben haben. In der Hauptanalyse wird der Einfluss der MINT-Veranstaltungen auf die Wahrscheinlichkeit untersucht, als Maturand oder Maturandin ein MINT-Studium zu beginnen und abzuschliessen.

MINT-Veranstaltungen haben positiven Einfluss auf MINT-Studienfachwahl

Die Analyse stützt sich auf ein sogenanntes Event-Study-Regressionsmodell, bei dem die Entwicklung der Zielvariablen in Schulen mit MINT-Veranstaltung mit der Entwicklung in Schulen ohne MINT-Veranstaltung vor und nach der Veranstaltung verglichen wird. Die zentrale Annahme für dieses Regressionsmodell ist, dass sich die Zielvariablen in den Schulen mit und ohne MINT-Veranstaltung gleich entwickelt hätten, wenn die jeweilige Veranstaltung nicht stattgefunden hätte. Da Schulen sich selbst für die Teilnahme anmelden (und sich daher möglicherweise von Schulen ohne Veranstaltung unterscheiden), werden in der Analyse nur die 83 Schulen untersucht, an denen mindestens ein MINT-Event stattfindet. Die Studie belegt, dass sich die Wahrscheinlichkeit, nach der Matura ein MINT-Fach zu studieren, für Maturandinnen und Maturanden von diesen Schulen in den Jahren vor einer Veranstaltung gleich entwickelt wie an den Schulen, an denen zu diesem Zeitpunkt keine Veranstaltung stattfindet.

Die Studie zeigt, dass Schülerinnen und Schüler, die an einer MINT-Veranstaltung teilnehmen und im gleichen Jahr die Maturität erwerben, eine 0.95 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, später ein Studium in diesem Bereich aufzunehmen. Da im Schnitt 22.3% der Maturandinnen und Maturanden ein MINT-Studium beginnen, beträgt der Effekt +4.2%. Die Veranstaltungen haben auch langfristig einen positiven Effekt: Schülerinnen und Schüler, die im Jahr der Maturität an einer MINT-Veranstaltung teilnehmen, haben eine 0.89 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, innerhalb von sechs Jahren einen Bachelorabschluss im MINT-Bereich zu erwerben (+6.4%). Die Veranstaltungen haben keinen Einfluss auf Schülerinnen und Schüler, die an einem Event teilnehmen, aber erst in einem späteren Jahr die Maturität erwerben.

MINT-Expertinnen sind besonders effektiv

Frauen sind in MINT-Studiengängen weiterhin unterrepräsentiert. In der Forschung und Praxis werden weibliche Vorbilder oft als Mittel gesehen, um Schülerinnen für dieser Fächer gewinnen zu können. Die Studie untersucht diese Annahme empirisch und kann zeigen, dass Veranstaltungen mit einem höheren Anteil an Präsentationen, die von Expertinnen gehalten werden, tatsächlich einen stärkeren Einfluss auf die MINT-Studienfachwahl von Schülerinnen haben. Der positive Effekt von zusätzlichen Expertinnen beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Schülerinnen, sondern auch Schüler wählen eher MINT-Studiengänge, wenn sie an Veranstaltungen mit einem grösseren Anteil an Expertinnen teilnehmen.

Sowohl Schülerinnen als auch Schüler wählen nach Veranstaltungen mit einem höheren Anteil von Expertinnen eher MINT-Studiengänge, in denen es bereits einen höheren Anteil an Studentinnen gibt (z.B. Biologie, Biotechnologie, Ernährungswissenschaften). Schülerinnen wählen nach solchen Veranstaltungen auch eher technische Studiengänge wie Informatik oder Physik. Im Gegensatz zum Einfluss auf die Wahl von MINT-Studiengängen mit einem höheren Anteil an Studentinnen ist dieser Effekt jedoch nicht besonders stark ausgeprägt.

Was kann den stärkeren Einfluss von Expertinnen auf die Studienfachwahl erklären? Basierend auf der Auswertung von Kurzbeschreibungen der Präsentationen, weist die Studie nach, dass Expertinnen eher über Themen aus den Bereichen mit einem höheren Anteil an Studentinnen sprechen und sich auch in ihrem Präsentationsstil unterscheiden. Im Gegensatz zu den Experten gestalten Expertinnen – auch innerhalb der gleichen MINT-Bereiche – ihre Präsentationen eher interaktiv und ermutigen die Schülerinnen und Schüler öfter aktiv an der Präsentation teilzunehmen. Damit scheint nicht nur das Geschlecht der Expertinnen eine Rolle zu spielen, sondern auch ihr Präsentationstil und die von ihnen vermittelten Informationen.

Implikationen

MINT-Veranstaltungen können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Schülerinnen und Schüler später ein MINT-Fach studieren. Insbesondere Veranstaltungen, die einen hohen Anteil an Expertinnen aufweisen, haben einen starken Einfluss. Veranstaltungen mit einem höheren Anteil an Expertinnen tragen jedoch nicht dazu bei, den Geschlechtsunterschied bei der MINT-Studienfachwahl zwischen Schülerinnen und Schülern zu reduzieren.

Bamert, Justus (2024): What Makes a Role Model? STEM Participation and Exposure to Female Experts (noch nicht veröffentlicht).

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