
Nach der Notübernahme der Credit Suisse durch die UBS 2023 stehen die Bankenregulierung, die globalen „Too Big to Fail“-Strategien und die zukünftige Ausgestaltung des Geldsystems erneut auf dem Prüfstand. Trotz umfangreicher Reformen zeigten sich Schwachstellen, die sich im geänderten geopolitischen Umfeld noch markant akzentuiert haben. Es braucht deutliche Verbesserungen, um ein solides Fundament für den schweizerischen Finanzmarkt und seine globale Reichweite zu schaffen.
Hier die wichtigsten 10 Fragen:
1. Eigenkapital: Wie viel im Stammhaus?
Ein Bank-Stammhaus (Muttergesellschaft) ist Kern einer globalen Bankengruppe und muss ausreichend Eigenkapital halten, um Verluste aufzufangen. Doch wie viel Kapital sollte dort vorgehalten werden? Bisher durften Schweizer Grossbanken Beteiligungen an ausländischen Töchtern mit weniger Eigenkapital unterlegen. Bei der Credit Suisse (CS) war das Stammhaus das schwächste Glied in der Kette. Im aktuellen geopolitischen Umfeld ist die robuste Eigenkapitalausstattung des Stammhauses noch zentraler. Aber wie hoch genau sollte sie sein und welcher Zeitraum ist für eine Anpassung angemessen. Kann sich die UBS zudem rechtlich und organisatorisch global so aufstellen, dass eine Sanierung im Falle einer Schieflage so einfach möglich ist?
2. AT1-Bonds: Automatische Rekapitalisierung vor dem Point of Non-Viability?
AT1 (Additional Tier 1)-Anleihen – oft auch als CoCo-Bonds bezeichnet – sollen eine Bank in der Krise rekapitalisieren, indem sie entweder in Eigenkapital umgewandelt oder abgeschrieben werden. Im Idealfall passiert dies automatisch, bevor die Bank endgültig nicht mehr überlebensfähig ist (Point of Non-Viability). Der Credit-Suisse-Fall offenbarte jedoch Defizite im Design dieser Instrumente. Die AT1-Bonds der CS wurden erst durch behördlichen Entscheid (Notverfügung) abgeschrieben, als die Bank bereits am Rande der Insolvenz stand.
Wie müssen Trigger-Schwellen, Umwandlungsprozess (in Aktien vs. Ganz- oder Teilverlust) und mechanische und diskretionäre Auslösungsereignisse neu konzipiert werden, damit die AT1-Bonds ihre Verlustabsorptionsfunktion erfüllen können, bevor ein Point of Non-Viability erreicht wird? Oder ist vielmehr zu prüfen, ob AT1-Bonds grundsätzlich abgeschafft werden sollten, da ein regulatorisch und praktisch tragfähiges Design realistischerweise nicht umsetzbar ist?
3. Rechtssicherheit bei Bail-in-Bonds?
Bail-in-Bonds – also Schuldpapiere, die im Insolvenzfall Verluste tragen (z.B. durch Umwandlung in Aktien) – sind ein zentrales Element der neuen Abwicklungsregime. Damit sie im Ernstfall funktionieren, müssen Investoren darauf vertrauen können, dass die Regeln klar und rechtssicher angewendet werden.
Bei global operierenden Banken ist die grenzüberschreitende Rechtssicherheit entscheidend. Es gibt Leitlinien und Vertragsklauseln, welche diese Sicherheit herstellen sollen. Dennoch bleibt ein Restrisiko: In akuten Krisensituationen könnten einzelne Länder versucht sein, lokale Vermögenswerte zu schützen oder juristische Schlupflöcher zu nutzen. Ein praktisches Beispiel ist der Einfluss des US-Rechts. Wenn etwa amerikanische Investoren Bail-in-Bonds halten, müssen US-Wertpapiergesetze beachtet werden, was komplexe juristische Anforderungen mit sich bringt. Solche Hürden erzeugen Unsicherheit darüber, ob ein geplanter Bail-in tatsächlich reibungslos vollzogen werden kann.
Sollten Bail-in-Bonds ihre vorgesehene Funktion nicht zuverlässig erfüllen, wäre ein Tauschmechanismus in Erwägung zu ziehen, bei dem Bail-in-Verbindlichkeiten schrittweise durch hartes Eigenkapital ersetzt werden. Konkret könnte beispielsweise vorgesehen werden, dass Banken für die Reduktion von zwei bis drei Einheiten an Bail-in-Schuldtiteln jeweils eine zusätzliche Einheit Eigenkapital vorhalten müssen. Ein solcher Mechanismus würde den Anteil des harten Eigenkapitals erhöhen und damit die Widerstandsfähigkeit der Institute stärken. Für die künftige UBS wäre ein solcher Mechanismus in einem gewissen Rahmen sogar in Einklang mit den Basel III-Vorgaben umsetzbar und könnte mit den Eigenkapitalanforderungen für das Stammhaus kombiniert werden.
Trotz verschiedener Lösungsansätze, Harmonisierungsbestrebungen und Standardverträge, bleibt also die Frage, ob Bail-in-Bonds wirklich verlässliche, rechtlich unumstössliche Instrumente sind, welche das Ziel einer Stabilisierung ohne Staatshilfe erfüllen.
4. Single Point of Entry: Ergibt dieser Ansatz noch Sinn?
Die Abwicklungsstrategie des Single Point of Entry (SPoE) sieht vor, dass im Krisenfall nur die oberste Holding der Bankengruppe in Abwicklung geht, während wichtige Tochtergesellschaften weiterarbeiten. Die Finanzmarktaufsicht FINMA, wie auch andere Aufsichtsbehörden, setzt bei Schweizer Grossbanken auf dieses SPoE Bail-in-Konzept, da die Heimaufsicht so die Kontrolle über den Abwicklungsablauf behält.
SPoE macht theoretisch Sinn – eine zentralisierte Abwicklung minimiert Chaos. Eine zentral gesteuerte Sanierung verhindert ein ungeordnetes Auseinanderbrechen des Konzerns, und im Idealfall müssen ausländische Einheiten nicht separat insolvent gehen. Aber das kann nur gelingen, wenn die internationale Zusammenarbeit funktioniert. Die umfassende Mitarbeit der geopolitischen Stakeholder in anderen Jurisdiktionen ist entscheidend, damit dieser Ansatz in der nächsten Krise tatsächlich greift.
Nach den jüngsten Erfahrungen bleibt ein Fragezeichen, und die aktuellen geopolitischen Verwerfungen vergrössern dieses Fragezeichen nur noch weiter. Würden in einem weiteren Krisenfall nicht die Aufsichtsbehörden in anderen Jurisdiktionen lokale Vermögenswerte durch sogenanntes «ring-fencing» zu schützen versuchen und eigene Sanierungspläne vorantreiben? Könnte die FINMA eine globale Sanierung der UBS – auch zum Beispiel in den USA – wirklich durchführen? Und ist deshalb eine SPoE-Strategie noch zeitgemäss?

«Es braucht deutliche Verbesserungen, um ein solides Fundament für den schweizerischen Finanzmarkt und seine globale Reichweite zu schaffen.»Hans Gersbach, Co-Direktor der KOF![]()
5. Kann ein internationales Krisenmanagement Ansteckungsgefahren eindämmen?
Bankenabwicklungen müssen in wenigen Tagen oder über ein Wochenende durchgeführt werden, um einen Bankenansturm oder Marktverwerfungen einzudämmen. Auch kennen Bankenkrisen keine Landesgrenzen. Eine globale, systemrelevante Bank in Schieflage erfordert ein international abgestimmtes Krisenmanagement, um Ansteckungseffekte (Finanzmarkt-Paniken, Kettenreaktionen bei anderen Banken) zu verhindern. Im März 2023 zeigte sich zwar bereits beachtliche Kooperation – Zentralbanken aktivierten gemeinsam Liquiditätsswap-Linien, und Aufseher standen im ständigen Kontakt – aber trotzdem offenbarte die Notfusion von Credit Suisse und UBS, wie ad-hoc vieles war.
Für die Zukunft lautet daher die zentrale Frage: Wie kann man länderübergreifend so vorbereitet sein, dass im Ernstfall schnell, geordnet und gemeinsam gehandelt wird? Bereits vor einer Krise sollten klare internationale Notfallpläne erarbeitet werden. Insbesondere die grossen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden müssten sich eng abstimmen und regelmässig Krisenszenarien durchspielen. Wenn etwa eine Grossbank abgewickelt wird, braucht es koordinierte Massnahmen: Bereitstellung von Liquidität (z.B. durch Zentralbankkredite oder -garantien), Austausch von Informationen in Echtzeit und abgestimmte Kommunikation, um Ansteckungsgefahren abzumildern und Vertrauen in die Märkte zurückzubringen. Ein denkbares Instrument sind internationale Kriseneinsatzzentralen, die bei grossen Banken übergreifend aktiviert werden und die Liquiditätsbereitstellung in allen betroffenen Märkten koordinieren. Kann ein solches Krisenmanagement glaubwürdig etabliert werden?
6. Bail-in-Bonds in US-Hand: Noch sinnvoll?
Ein unerwartetes Hindernis beim Thema Bail-in tat sich in Bezug zu den USA auf. Wenn Verluste bei einer europäischen Bank auf Gläubiger übertragen werden sollen, die in den USA sitzen, greifen amerikanische Gesetze – insbesondere das Wertpapierrecht. Eine Umwandlung von Anleihen in Aktien im Zuge eines offenen Bail-in gilt nach US-Recht als Wertpapiergeschäft, welches mit einer Registrierung und umfangreichen Offenlegungspflichten und Prüfungen einhergeht. Dies ist im Krisenfall typischerweise nicht schnell genug möglich. In einer akuten Krise müsste daher auf Ausnahmeregelungen zurückgegriffen werden. Ob bei einer bail-in basierten Sanierung alle Kriterien für solche Ausnahmeregelungen gesichert erfüllt werden können, ist im Vorfeld nicht klar, was zu einem rechtlichen Drahtseilakt führt. Die Vision eines nahtlosen grenzüberschreitenden Abwicklungsmechanismus wird hier durch die Realität unterschiedlicher Regulierungsregime gedämpft.
Bei der Credit Suisse hielten US-Investoren einen beträchtlichen Teil der bail-in-fähigen Anleihen, was zur Unsicherheit über die Konsequenzen einer bail-in basierten Sanierung beitrug.
Geopolitisch spiegelt dieses Problem einen grundsätzlichen Zielkonflikt: globale Kapitalmärkte vs. nationale Rechtsordnungen. Eine Option wäre, Bail-in Bonds vornehmlich in Rechtsräumen auszugeben, die im Krisenfall reibungslos mitspielen – zum Beispiel nur innerhalb Europas, wo das Abwicklungsregime klar ist. Allerdings sind internationale Investoren wichtig, um genügend Kapital bereitzustellen und die Konditionen attraktiv zu halten.
Es bleibt deshalb die Frage: Kann eine europäische G-SIB (Global Systemically Important Bank) sicher sein, dass ihre in den USA platzierten Bail-in-Bonds im Ernstfall wirklich rechtssicher und wie vorgesehen aktiviert werden können?
7. Frühzeitige Intervention: Rechtssicher und wirksam?
«Prevention is better than cure» – in der Bankenaufsicht bedeutet das: Früh eingreifen, bevor eine Schieflage zur Krise wird. Doch Aufsichtsbehörden bewegen sich auf dünnem Eis: Greifen sie sehr früh ein (wenn eine Bank noch solvent ist), drohen rechtliche Anfechtungen durch die Bank oder Aktionäre, denn hier prallen Aufsicht und Eigentumsrechte aufeinander.
Die Frage lautet daher: Wie kann man rechtssichere Instrumente schaffen, damit Aufseher schon bei anhaltenden Problemen frühzeitig und konsequent einschreiten können, ohne erst auf die letzte Notstufe warten zu müssen und ohne in Konflikt mit grundlegenden Eigentumsrechten zu kommen? Neben weitgehend unbestrittenen Instrumenten, wie beispielsweise das «Senior Managers Regime», das Verantwortlichkeiten klar zuweist und durchsetzbar macht, stehen auch Bussen in der Diskussion. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die FINMA Gefahren früh erkennen und intervenieren kann, wenn bestimmte Ereignisse eintreten – beispielsweise ein negatives Stresstest-Ergebnis (zu Marktbewertungen), oder wenn eine Bank kein neues Eigenkapital mehr beschaffen kann. Darüber hinaus ist offen, wie interveniert werden sollte. Könnte die Wandlung der AT1-Bonds von solchen Ereignissen abhängig gemacht werden?
Insgesamt stellt sich deshalb die Frage: Welche Massnahmen darf die FINMA anordnen, noch bevor die formale «Abwicklungsreife» erreicht ist, und wie können diese Massnahmen rechtssicher ausgestaltet werden?
8. Wie muss die Liquiditätsregulierung neu kalibriert werden?
Der Zusammenbruch der Credit Suisse im März 2023 hat Schwachstellen im Basel-III-Liquiditätsrahmen aufgezeigt und Kritik an der bestehenden Liquidity Coverage Ratio (LCR) ausgelöst. Obwohl die Bank regulatorische Liquiditätsvorgaben erfüllte, führten Vertrauensverlust und ein digitaler Ansturm auf die Bank verbunden mit massiven Geldabzügen («digitaler Bank Run») die CS in kurzer Zeit an den Rand der Illiquidität, auch weil die Abflussraten im Vorfeld zu optimistisch eingeschätzt wurden.
Im Zeitalter von digitalen Bank Runs muss deshalb die Liquiditätsregulierung neu kalibriert werden und es ist klar, dass das aktuelle Regime mit 30 Tagen nicht mehr zeitgemäss ist. Hier muss neu überlegt werden, wann genau welche Liquiditätspuffer eingesetzt werden können und wie mit möglichen Stigma-Effekten umgegangen werden kann. Insgesamt stellt sich die Frage: Wie sollen LCR- und NSFR (Net Stable Funding Ratio)-Regelwerke neu kalibriert werden?
9. Soll – und wenn ja, wie – das Geldsystem weiterentwickelt werden?
Im Zuge geopolitischer Veränderungen, aber auch durch technologische Fortschritte, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, wie das schweizerische Geldsystem und seine Integration in das internationale Finanzsystem weiterentwickelt werden können – mit dem Potenzial, an Flexibilität und Widerstandsfähigkeit zu gewinnen.
Eine Perspektive liegt in der Integration digitaler Währungen, wobei insbesondere Central Bank Digital Currencies (CBDCs) als Ergänzung zum bestehenden System diskutiert werden. CBDCs könnten eine präzisere Steuerung der Liquiditätsversorgung und damit der Geldpolitik ermöglichen, indem sie gezielter auf aktuelle Herausforderungen – von Finanzkrisen bis hin zu externen Schocks – reagieren können. Gleichzeitig gilt es, mögliche Stabilitätsrisiken zu beachten: Eine schnelle und uneingeschränkte Einführung könnte zu Stabilitätsrisiken im Bankensystem führen.
Darüber hinaus könnten auch Stablecoins und tokenisierte Depositen als innovative Instrumente in Betracht gezogen werden, da sie als Brücke zwischen traditionellen und innovativen Finanzinstrumenten dienen können. Stablecoins, deren Wert an stabile Vermögenswerte gekoppelt ist, könnten insbesondere für grenzüberschreitende Zahlungen und den internationalen Handel Vorteile bieten, indem sie Wechselkursrisiken verringern und Liquidität in Echtzeit ermöglichen. Tokenisierte Depositen wiederum könnten dazu beitragen, Einlagen effizienter zu verwalten und den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu erleichtern.
Die Kombination dieser neuen Formen von Geld und Zahlungsinfrastruktur – unter Berücksichtigung strenger regulatorischer Rahmenbedingungen – könnte die Resilienz der Schweizer Finanzarchitektur in einem veränderten geopolitischen Umfeld stärken und das Land als Vorreiter in einem zunehmend digitalen globalen Finanzsystem positionieren. Dennoch sind solche Entwicklungen stets auch mit Risiken verbunden. Es stellt sich daher die grundlegende Frage, ob und in welchem Umfang die Schweiz eine Vorreiterrolle bei der Weiterentwicklung des Geldsystem einnehmen sollte.
10. Wie stark darf die Abhängigkeit von Dollarliquidität sein?
Die Abhängigkeit der Schweiz, insbesondere des Schweizer Finanzplatzes, von der Dollarliquidität stellt eine strukturelle Schwachstelle dar. Da der US-Dollar die dominante Reserve- und Transaktionswährung im globalen Finanzsystem ist, benötigen systemrelevante Banken im Krisenfall rasch grosse Mengen an Dollarliquidität, um internationale Verpflichtungen zu bedienen und Marktverwerfungen einzudämmen. Ohne gesicherten Zugang zu dieser Dollarliquidität – etwa durch Swap-Linien mit der US-Notenbank – steigt das Risiko einer Destabilisierung. Die jüngsten Erfahrungen zeigen, dass solche Liquiditätsengpässe rasch systemisch werden können und eine koordinierte Reaktion der Notenbanken und Finanzbehörden erfordern.
Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, ob eine zu hohe Verankerung in der Dollarinfrastruktur zu einer einseitigen Abhängigkeit führt, die die geldpolitische und regulatorische Souveränität der Schweiz in einem nicht auszuschliessenden Krisenfall untergraben könnte. Auch wenn Notfallzugänge zu Dollarliquidität in Zukunft essenziell bleiben werden, könnten zusätzliche strategische Anstrengungen unternommen werden, um eine Diversifizierung der Währungsrisiken voranzutreiben. Dazu zählen etwa die Stärkung des Frankens im Zahlungsverkehr, der Ausbau multilateraler Netzwerke und die Förderung der Eigenfinanzierungskraft von Banken und Versicherungen in verschiedenen Währungsräumen.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie stark die Abhängigkeit von der Dollarliquidität sein darf, und wie eine Verringerung dieser Abhängigkeit erreicht werden könnte.