
Die KOF Direktoren Jan-Egbert Sturm und Hans Gersbach blicken im Interview auf das Jahr 2024 zurück, analysieren die Lage der Weltwirtschaft und diskutieren die grossen Herausforderungen für 2025.
Wie fällt Ihre Bilanz für das Jahr 2024 im Rückblick aus?
Jan-Egbert Sturm: Mir wurde im Laufe des Jahres 2024 immer stärker bewusst, in welch tiefer wirtschaftlicher Krise sich Deutschland befindet. Die negative Entwicklung in Deutschland ist – wie wir mittlerweile wissen – struktureller Natur und geht über eine Konjunkturdelle weit hinaus. Das hat natürlich grosse Auswirkungen auf die Schweiz, denn Deutschland ist unser wichtigster Handelspartner. Auch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten war eine Zäsur, wobei sich die tatsächlichen Veränderungen erst 2025 manifestiert haben. Innerhalb der KOF war für mich die Umstellung von den KOF Analysen auf ein neues, moderneres und zeitgemässes Format unserer vierteljährlichen Konjunkturberichte wichtig. Wir wollten mit der Zeit gehen und unsere Zielgruppen besser ansprechen. Ich glaube, das ist uns gelungen. Zeitgleich haben wir unser traditionelles Prognosemodell mit neuen Prognosemethoden ergänzt.
Hans Gersbach: Mich hat in Bezug auf die KOF gefreut, dass es uns gelungen ist, neue Drittmittelprojekte zu gewinnen und das Methoden- und Datenportfolio zu erweitern. Mit Blick auf die globalen Rahmenbedingungen hat mich neben den genannten wirtschaftspolitischen Themen vor allem der technologische Wandel durch Künstliche Intelligenz stark beschäftigt. Hier ist nach wie vor die grosse Frage, wie stark die Auswirkungen auf die Produktivität sein werden und wie hoch die Risiken sind. Da gehen die Meinungen der Ökonomen auseinander.
Sie haben die Wirtschaftslage Deutschlands bereits angesprochen. Besteht die berechtigte Hoffnung auf Impulse durch die neue schwarz-rote Regierung?

Jan-Egbert Sturm: Die politische Konstellation hat sich mittlerweile geändert. Die geplanten Fiskalimpulse mit grossen Investitionen in das Militär und die Infrastruktur könnten sich positiv auf die Konjunktur in Europa auswirken. Aber eine Garantie, dass die Umsetzung der geplanten Massnahmen gelingt, gibt es nicht.
Hans Gersbach: Es gibt Zeichen der Hoffnung für Deutschland. Viele der Ankündigungen gehen wirtschaftspolitisch in die richtige Richtung. Jetzt geht es aber, wie Jan-Egbert Sturm gesagt hat, um die Umsetzung.
«Der Wettberwerb um Drittmittel hat sich verschärft und auch die Projekte werden immer grösser.»Prof. Jan-Egbert Sturm
Wie hat sich der Wettbewerb um Drittmittel in den letzten Jahren verändert?
Jan-Egbert Sturm: Der Wettbewerb um Drittmittel hat sich weiter verschärft. Dies zwingt uns, uns auf realitätsnahe und aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen zu fokussieren. Das ist grundsätzlich positiv, aber manchmal muss die Grundlagenforschung dabei zurückstecken. Zudem gibt es einen Trend zu grösseren Forschungsprojekten und somit zur Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen – auch über die Schweiz hinaus. Wir passen aber dabei auf, dass die KOF ihrer Natur treu bleiben wird und weiter ein unabhängiges, datenorientiertes und evidenzbasiertes Forschungsinstitut bleibt.
Wie ist Ihre Position bezüglich Künstlicher Intelligenz (KI)?
Hans Gersbach: Ich bin vorsichtig optimistisch. KI hat ein grosses Potenzial. Sie wird Wirtschaft, Politik und Gesellschaft transformieren und das Leben von uns allen ändern. Aber es braucht auch eine angemessene Regulierung, um die Risiken zu kontrollieren.
Jan-Egbert Sturm: Auch ich gehöre eher zu den Optimisten. Die KI bietet grosse Chancen, auch wenn man eine staatliche Regulierung der Risiken braucht. Wir erwarten keine gigantischen Produktivitätssprünge, sondern allmähliche Verbesserungen. Das war bei der Einführung von Computern oder Handys ähnlich. KI wird positive Impulse geben, ist aber kein Allheilmittel.
Ein besonders dynamischer und innovativer Forschungsbereich an der KOF ist das KOF Laboratory, kurz KOF Lab. Wie hat sich das Lab 2024 weiterentwickelt?

Hans Gersbach: Wir haben weitere Sektionen ins Leben gerufen, so dass das KOF Lab 2024 weiter gewachsen ist. Es hat sich als Karrieresprungbrett für junge Forscher und Forscherinnen bewährt.
Das KOF Lab umfasst verschiedene Sektionen von der Zukunft der Geldsysteme über Mittelfristszenarien, Ungleichheit bis hin zum Design der Sozialpolitik. Wie bekommt man das alles unter einen Hut?
Hans Gersbach: Im Prinzip gibt es zwei Stossrichtungen. Im KOF Lab arbeiten wir einerseits an strukturellen sowie langfristigen Modellen und Datenanalysen. Zum anderen haben wir Experten und Expertinnen für spezifische Sektoren, die besonders wichtig sind, wie für den Gesundheitssektor oder für das Geld- und Finanzsystem
Jan-Egbert Sturm: Das Lab ist an der KOF kein Monolith, sondern mit anderen Bereichen der KOF vernetzt. So kann das Handelsmodell, das im KOF Lab entwickelt wurde, bei der Konjunkturprognose helfen. Oder die Forschung im KOF Lab an Umfrageexperimenten kann mit unseren Konjunkturumfragen verknüpft werden.
«Bei der Bankenregulierung müssen wir nochmals über die Bücher gehen. Viele Grundsatzfragen sind noch nicht final beantwortet.»Prof. Hans Gersbach
Vor gut zwei Jahren ging die Geschichte der Credit Suisse als eigenständige Bank zu Ende. Haben wir aus dieser Fehlentwicklung die richtigen Lehren gezogen?
Hans Gersbach: Der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission, PUK, und andere Berichte haben viele Defizite aufgedeckt. Wir müssen aber nochmal über die Bücher, denn viele Grundsatzfragen, zum Beispiel bezüglich der Eigenkapitalausstattung, aber auch die Gesamtkonzeption für die Lösung des Too-big-to-fail-Problems sind noch nicht final beantwortet oder müssen angesichts der geopolitischen Entwicklung neu überdacht werden.
Wie beurteilen Sie die aktuelle geopolitische Entwicklung, vor allem mit Blick auf die USA unter Trump?
Jan-Egbert Sturm: Wir verabschieden uns immer mehr von einem multilateralen, regelbasierten System. Es gilt immer mehr das Recht des Stärkeren. Diese Entwicklung beobachten wir schon länger. Sie wird aber durch Trump verstärkt.
Wie beeinflusst die Unberechenbarkeit von Politikern wie Trump die Erstellung von Konjunkturprognosen?

Jan-Egbert Sturm: Die Unsicherheit ist derzeit hoch. In so einer Situation halten sich Unternehmen mit Investitionen zurück, Konsumenten und Konsumentinnen warten mit grösseren Anschaffungen ab. Das ist nicht gut für die Konjunktur. Die politische Unsicherheit führt dazu, dass wir bei unseren Konjunkturprognosen immer öfters Szenarien erstellen, anstatt nur eine Prognose vorzulegen.
Wie blicken Sie derzeit auf die Geldpolitik? Werden wir in diesem Jahr wieder Negativzinsen in der Schweiz erleben?
Hans Gersbach: Das ist durchaus denkbar, zumal wir derzeit kurzfristige Zinsen von knapp über 0% haben.
Wäre das ein Problem?
Hans Gersbach: Negativzinsen gehen mit volkswirtschaftlichen Kosten einher, da sie zu Verwerfungen bei Investitionen führen und den Strukturwandel erschweren können. Negativzinsen sind deshalb kein Szenario, das man anpeilen möchte. Aber über einen begrenzten Zeitraum könnte die Schweiz Negativzinsen gut verkraften.
Was sind 2025 die grossen Herausforderungen der KOF?
Jan-Egbert Sturm: Aus prognostischer Sicht wird die Analyse der Zölle im Vordergrund stehen.
Hans Gersbach: Ja, zusammen mit möglichen weiteren nichttarifären Handelsbeschränkungen und geopolitischen Auseinandersetzungen, wobei ich hoffe, dass die ökonomische Vernunft stärker ins Weisse Haus zurückkehren wird.
Das Interview führten Dr. Thomas Domjahn und Anne Stücker, KOF Corporate Communications.
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