Too-big-to-fail: Warum die Notfallpläne nicht angewendet werden (können)

Hans Gersbach

Die Notfallpläne der «Too-big-to-fail»-Bestimmungen können von der FINMA nicht ohne grössere Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten umgesetzt werden. Das hat vor allem drei Gründe: Erstens betreffen sie die Jurisdiktionen verschiedener Länder und das «Single Point of Entry»-Verfahren ist politisch nicht akzeptiert. Zweitens können die Notfallpläne die Ansteckungsdynamik einer in Schieflage geratenen Bank nicht sicher eindämmen. Drittens sind sie praktisch nur schwer umsetzbar.

Das «Too-big-to-fail»-Regelwerk soll die Sanierung und Abwicklung globaler und systemrelevanter Banken im Insolvenzfall regeln. Im Fall der Credit Suisse kam dieses Regelwerk jedoch nicht zur Anwendung. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) verzichtete vielmehr darauf, die Credit Suisse einer Zwangssanierung zu unterziehen, wie es die «Too-big-to-fail»-Notfallpläne der Banken und der «Resolution Plan» der FINMA eigentlich vorsehen. Unabhängig von der offiziellen, einzelfallbezogenen Begründung der FINMA entstand bereits im Vorfeld eine Kontroverse darüber, ob und wie diese Notfallpläne grundsätzlich anwendbar wären. Diese Debatte hat sich nun weiter verschärft.

Die Notfallpläne können von der FINMA nicht ohne grössere Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten umgesetzt werden. Das hat insbesondere drei Gründe, die in diesem Beitrag kurz beleuchtet werden.

1. Unmöglichkeit der Umsetzung des «Single Point of Entry»-Verfahrens

Grosse Finanzinstitute haben in der Regel eine Vielzahl von Tochtergesellschaften, die in verschiedenen Ländern tätig sind. Um die Abwicklung insolventer Banken über Ländergrenzen hinweg zu koordinieren, sieht der Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board) das sogenannte «Single Point of Entry»-Verfahren (SPE) vor. Dieses Verfahren zieht eine Trennlinie zwischen der betroffenen Bank und ihren Tochtergesellschaften. Der erste Schritt findet auf Stufe der höchsten Konzerneinheit mit einem sogenannten Bail-in zur Rekapitalisierung statt. Es sieht dann Eingriffe in die Geschäftstätigkeit der betroffenen Bank vor, soll die Fortführung von systemrelevanten Funktionen ohne Unterbruch sicherstellen und Tochtergesellschaften rekapitalisieren, sanieren oder abwickeln. Das SPE-Verfahren vermeidet, dass verschiedene Behörden, basierend auf unterschiedlichen Rechtsordnungen, konkurrierende Verfahren über verschiedene Gruppengesellschaften der Bank eröffnen.

Das SPE-Prinzip konzentriert die Entscheidungsgewalt bei drohender Insolvenz einer Bank naturgemäss bei den Behörden des Sitzlandes der Bank. Die Tatsache, dass die dort getroffenen Entscheidungen auch den Fortbestand der Tochtergesellschaften im Ausland beeinflussen, z.B. durch die vorgenommenen Bewertungen, durch das Ausmass der Rekapitalisierung und die Ausstattung mit Liquidität, verleiht dem SPE-Verfahren seine Brisanz.

Obwohl sowohl die FINMA in ihrer offiziellen Strategie als auch die Grossbanken in ihren Notfallplänen, die sie bei der Aufsicht hinterlegen müssen, mit dem SPE-Verfahren arbeiten, wird dieses politisch nicht akzeptiert. Dies würde nämlich bedeuten, dass beispielsweise die Behörden in den USA der FINMA Eingriffsmöglichkeiten auf in den USA ansässige Tochtergesellschaften schweizerischer Banken einräumen müssten. Dies ist derzeit nicht akzeptiert und das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern.

«Das «Multiple Point of Entry»-Verfahren steht dem «Single Point of Entry»-Verfahren gegenüber»
Hans Gersbach

Dem SPE-Verfahren steht als Alternative das sogenannte «Multiple Point of Entry»-Verfahren (MPE) gegenüber. Ein «Too-big-to-fail»-Notfallplan, der diesem Prinzip folgt, würde das Eingreifen der zuständigen Behörden in denjenigen Ländern vorsehen, in denen die rechtlich selbständigen Unternehmen derselben Gruppe tätig sind. Dadurch würde die rechtliche Integrität der betroffenen Länder gewahrt. Da die einzelnen Unternehmen häufig auf Dienstleistungen anderer Unternehmen derselben Gruppe angewiesen sind, z.B. über die im Konzern integrierten Bereiche IT oder Cash Management, stellt das MPE-Verfahren die Behörden vor grosse Herausforderungen bei der Koordinierung ihres Vorgehens.

Zudem muss eine Einigung über Bewertungen, Rekapitalisierung von überlebensfähigen Tochtergesellschaften und deren Liquiditätsausstattung gefunden werden. In einem Umfeld, in dem das Vertrauen in die Überlebensfähigkeit einer Bank bereits erschüttert ist, würde ein Abwicklungsverfahren, das sich in Verhandlungen über diese Aspekte und Zuständigkeiten verliert, seinen Zweck verfehlen, nämlich Vertrauen wiederherzustellen. Es würde die gesamte Unternehmensgruppe nur zusätzlich gefährden und das Risiko erhöhen, dass auch andere Banken in Schieflage geraten und die krisenhafte Situation verschärfen. Da im Moment de facto nur das MPE-Verfahren zur Verfügung steht, wird eine Aufsichtsbehörde das Sanierungsverfahren gar nicht erst einleiten.

2. Ansteckungsgefahren und Unsicherheiten

Die Notfallpläne sehen weitreichende Möglichkeiten vor, sogenannte bail-in-fähige Schuldtitel in Eigenkapital umzuwandeln, um Verluste aufzufangen. Aus Sicht der angeschlagenen Bank ist dies ein naheliegender Weg zur Rekapitalisierung. Aus Sicht eines Gläubigerinstituts kann diese Umwandlung von Wertpapieren jedoch die eigene Bilanz in Schieflage bringen. Es geht also ein gewisses Ansteckungsrisiko von diesen Schuldumwandlungen aus.

Selbst wenn es gelingt, die Zahlungsfähigkeit der angeschlagenen Bank wiederherzustellen und Ansteckungen zu verhindern, bleiben Unsicherheiten zurück. Zum einen stellt sich die Frage nach der Tragfähigkeit des Geschäftsmodells der sanierten Bank und nach strukturellen Mängeln, die durch die Sanierung nicht erkannt wurden oder nicht behoben werden konnten. Wenn die Verluste gross sind, kann die Rekapitalisierung durch bail-in-fähige Schuldtitel nicht ausreichen und es kann an Liquidität fehlen. Dadurch können auch die Tochtergesellschaften der Bank unter Druck geraten. In jedem Fall kann ein Bail-in den Markt nicht von den Unsicherheiten befreien, die durch die ursprüngliche Krise entstanden sind – unabhängig davon, ob die Abwicklung nach dem SPE- oder dem MPE-Prinzip erfolgt. Da ein Sanierungsverfahren also nur bedingt zur Lösung des Problems beitragen kann, wird eine Aufsichtsbehörde ein Sanierungsverfahren möglicherweise gar nicht erst einleiten.

3. Herausforderungen einer raschen Sanierung und Abwicklung

Die Umsetzung eines Notfallplans ist eine komplexe Angelegenheit. Um Bank Runs zu verhindern und die Finanzmärkte zu beruhigen, ist es wichtig, trotz der Komplexität eines Notfallplans schnell zu handeln und diesen zügig umzusetzen. Da die relevanten Dokumente Tausende von Seiten umfassen, ist eine schnelle Umsetzung schwierig. Zudem setzt ein schnelles Handeln voraus, dass die FINMA über die Systemrelevanz oder auch -irrelevanz der einzelnen Banktätigkeiten gut informiert ist, um die wichtigen Funktionen im Krisenfall wirksam schützen zu können. Also muss die FINMA die Solvenz und die gesamte Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaften der beaufsichtigten Banken genau kennen. Insbesondere in einem SPE-Verfahren, in dem die Entscheide der FINMA erhebliche Auswirkungen auf Gesellschaften im Ausland haben, muss die FINMA auch über die wirtschaftliche Situation dieser Gesellschaften gut informiert sein.

Im Idealfall sollten die grössten Schritte des Notfallplans über ein Wochenende umgesetzt werden. Nach Geschäftsschluss am Freitag beginnen die Behörden im Laufe des Samstags mit der Bewertung der Vermögenswerte der angeschlagenen Bank und informieren am Sonntag die Aktionäre und Gläubiger über die Ergebnisse der Prüfung. Dazu gehören auch die Umwandlung von Schuldtiteln in Eigenkapital und die neue Ausstattung mit Liquidität. Vor Geschäftseröffnung am Montag werden schliesslich alle Stakeholder über die Solvenz der Bank und den Sanierungsplan informiert und Bank Runs werden verhindert.

Die angemessene Bewertung der Aktiva kann bei systemrelevanten globalen Banken äusserst komplex sein. Bewertungen von Derivativen, die nicht in offenen Märkten gehandelt werden, benötigen zum Beispiel geeignete mathematische Modelle und Gegenparteirisiken sind besonders in einer krisenhaften Situation mit beträchtlicher Unsicherheit behaftet.

«Idealweise sollten die grössten Schritte eines Notfallplans über ein Wochenende umgesetzt werden. Bei systemrelevanten Banken sind eine so schnelle Sanierung und Abwicklung nicht möglich.»
Hans Gersbach

Bei systemrelevanten Grossbanken sind eine derart rasche Sanierung und Abwicklung nicht möglich. Trotzdem müssen die Notfallpläne und auch die Finanzmarktaufsicht auf rasches Handeln ausgerichtet sein. Jede Verzögerung erhöht die Unsicherheit und führt zu einem Rückzug der Schuldner – eine Dynamik, die in einem Bank Run enden kann.

Natürlich ist die Schwierigkeit einer raschen Sanierung und Abwicklung angeschlagener Banken nicht primär der Komplexität der Notfallpläne geschuldet, sondern der Komplexität des Geschäfts von Grossbanken an sich. Es ist möglich und manchmal unvermeidlich, dass eine Intervention bei einer Bank deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, so dass sie nicht mehr in der Lage ist, wichtige Geschäfte zu tätigen, mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für den restlichen Finanzmarkt. Die Möglichkeit solcher Kollateralschäden, die enormen Informationserfordernisse, die Unmöglichkeit, das ganze Verfahren schnell abzuschliessen und die Komplexität der Pläne, die die Abwicklung und Sanierung regeln sollen, sind Beispiele für praktische Probleme, die eine Aufsichtsbehörde von der Anwendung eines Notfallplans abbringen können.

Schlussfolgerungen

Ein Sanierungs- und Abwicklungsverfahren für Grossbanken ist ordnungspolitisch wünschenswert und die FINMA hat hart dafür gearbeitet. Derzeit werden die formulierten Notfallpläne aber international zu wenig akzeptiert. Zudem sind die Umsetzungsschwierigkeiten und -unsicherheiten zu gross, als dass von ihrer Anwendung im Krisenfall ein stabilisierender Beitrag und der Erhalt der systemrelevanten Teile erwartet werden könnten. Es ist daher notwendig, das «Too-big-to-fail»-Konzept grundlegend zu überdenken.

Dies ist ein erster Beitrag einer Serie zu Beiträgen über die Zukunft der Banken- und Geldtheorie.

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Prof. Hans Gersbach
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