Negativzinsen II: Ökonomen glauben nicht an baldiges Ende
Seit 2015 befindet sich der Leitzins der Schweizerischen Nationalbank im negativen Bereich. Überwiegen die Vor- oder die Nachteile dieses Zinsumfeldes? Wie dürften sich die Leitzinsen in den nächsten Jahren entwickeln? Und wie ist die momentane Ausrichtung der SNB, der EZB und der Fed einzuschätzen? Dazu wurde im Dezember 2019 eine Umfrage unter Schweizer Ökonominnen und Ökonomen durchgeführt.
Am 15. Januar 2015 hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro aufgehoben. Gleichzeitig senkte sie den kurz zuvor in den negativen Bereich gesetzten Leitzins auf -0.75%. Fünf Jahre später ist noch kein Ende der Negativzinsen in Sicht – während die Debatte darüber immer wieder kontrovers geführt wird.
Im letzten Oktober äusserte etwa die Schweizerische Bankiervereinigung in einer Studie harsche Kritik. Die Negativzinsen erfüllten heute ihren wirtschaftspolitischen Zweck nicht mehr: Der Schweizer Franken sei nicht überbewertet, die Preise stabil und die Wirtschaft habe sich den aktuellen Bedingungen angepasst. Gleichzeitig hätten die Negativzinsen zahlreiche negative Folgen für die Wirtschaft – so würden Sparer bestraft und Anreize zur Verschuldung gesetzt, Pensionskassen hätten Schwierigkeiten, die erwartete Rendite zu erzielen, und der Immobilienmarkt könnte Gefahr laufen, zu überhitzen.
Wie denken Ökonominnen und Ökonomen aus der Schweiz über das Thema? Gemeinsam mit der «Neuen Zürcher Zeitung» hat die KOF Ende 2019 akademisch forschende Schweizer Ökonominnen und Ökonomen zu den Negativzinsen befragt. An der Umfrage nahmen 126 Volkswirtinnen und Volkswirte aus 19 Institutionen teil.
Nur jeder Fünfte erwartet bald einen positiven Leitzins
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Schweizer Forschenden sich in ihrem Urteil über die Negativzinspolitik nicht einig sind: Für 38% der Befragten überwiegen die Vorteile, für 36% die Nachteile (siehe Grafik G5).
Die Zinswende in den positiven Bereich könnte sich aber noch etwas hinziehen. Die Mehrheit der befragten Schweizer Ökonominnen und Ökonomen glaubt, dass der Leitzins in fünf Jahren immer noch im negativen Bereich oder bei null sein wird: Rund zwei Drittel rechnen mit einem Leitzins zwischen dem aktuellen Niveau und rund 0% und nur 20% erwarten einen deutlich positiven Leitzins (siehe Grafik G 6). Dies ist insofern bemerkenswert, weil vor fünf Jahren die Negativzinsen noch als kurzfristiges, unkonventionelles Instrument angesehen wurden.
Ein weiterer Nachteil der Negativzinspolitik ist, dass sie den Handlungsspielraum der SNB einschränkt. Der sogenannte «lower bound» des Leitzinses beschreibt den Punkt, ab dem der Zins nicht weiter gesenkt werden kann, ohne dass die Wirtschaftsteilnehmenden in grossem Umfang Bankeinlagen abheben und als Bargeld lagern. Theoretisch könnte diese Untergrenze bei 0% liegen. Praktisch liegt sie tiefer, aber wo genau, ist ungewiss.
Eine Mehrheit der befragten Volkswirtinnen und Volkswirte glaubt, dass die SNB den Leitzins auf -1% oder sogar noch tiefer senken könnte (siehe Grafik G7). Dass knapp ein Viertel der Umfrageteilnehmenden auf diese Frage nicht geantwortet hat, zeigt, wie komplex das Thema «lower bound» ist.
Mehrheit findet den Franken angemessen oder unterbewertet
Die Entwicklung des Wechselkurses des Schweizer Frankens spielt eine wichtige Rolle für die Rechtfertigung der Negativzinsen. In der aktuellsten geldpolitischen Lagebeurteilung vom Dezember 2019 bezeichnete die SNB den Franken als «weiterhin hoch bewertet», weshalb sie am negativen Leitzins festhielt.
In der Ökonomenumfrage wurde nach der Einschätzung des Wechselkurses gegenüber dem Euro, der im handelsgewichteten Wechselkurs die wichtigste Währung ist, gefragt. Auch hier driften die Meinungen auseinander: 38% betrachten den Schweizer Franken als über-, 35% als angemessen und 16% als unterbewertet (siehe Grafik G8). Zu beachten ist allerdings, dass sich der Franken seit der Umfrage aufgewertet hat – der Eurokurs liegt aktuell bei rund 1.07.
Fed und EZB: Geldpolitik wird als zu expansiv beurteilt
Die Umfrage thematisierte schliesslich auch die geldpolitische Ausrichtung der US-Notenbank Fed, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der SNB (siehe Grafik G9). Die von der Fed sowie der EZB verfolgte Geldpolitik wird von einer Mehrheit der befragten Volkswirtinnen und Volkswirte als eher oder deutlich zu expansiv beurteilt. Die geldpolitische Ausrichtung der SNB ist aus der Sicht von 44% der befragten Forschenden eher oder deutlich zu expansiv. Ebenfalls 44% der Befragten beurteilen sie hingegen als angemessen.
Kontakte
KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092
Zürich
Schweiz
KOF FB Konjunkturumfragen
Leonhardstrasse 21
8092
Zürich
Schweiz