«Gegen Lieferengpässe sind die Notenbanken machtlos»

KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm spricht im Interview über die aktuellen Preissteigerungen in fast allen Währungsräumen, mögliche Gegenstrategien der Zentralbanken und darüber, warum die Inflation in der Schweiz nach wie vor moderat ist.

SNB und Inflation

Deutschland hat gerade ein grosses Sozialpaket geschnürt, um die steigenden Preise vor allem im Energiebereich abzufedern. Braucht die Schweiz jetzt auch so ein Sozialprogramm?

Auch in der Schweiz ist die Inflation zuletzt angestiegen, aber die Problematik ist nicht auf dem gleichen Level wie in Deutschland. Deshalb braucht die Schweiz derzeit nicht so ein Sozialprogramm – zumindest noch nicht, denn niemand weiss wegen der volatilen geopolitischen Situation, wie sich die Preise weiterentwickeln werden. Trotzdem muss man sich auch in der Schweiz Gedanken machen, wen der Energiepreisschub am stärksten trifft und wie man damit umgeht. Aber das ist keine Frage, die man als Ökonom beantworten kann, sondern eher eine Frage für die Politik und die Gesellschaft.

Ist die hohe Inflation aus Ihrer Sicht ein temporäres oder ein dauerhaftes Phänomen?

Wir sagen schon seit geraumer Zeit, dass die höhere Inflation eigentlich temporär sein müsste. Ich sehe das im Grossen und Ganzen immer noch so, weil sie wesentlich mit Sonderfaktoren wie der Corona-Krise oder jetzt mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängt.

«Ein Grossteil der Inflation ist temporär, während ein kleinerer Teil bleiben wird. Aber letzteres muss nicht per se schlecht sein.»Jan-Egbert Sturm, Direktor Konjunkturforschungsstelle ETH Zürich

Das wahrscheinlichste Szenario ist aus Sicht der KOF, dass ein Grossteil der Inflation temporär ist, während ein kleinerer Teil der Inflation bleiben wird. Aber letzteres muss nicht unbedingt per se schlecht sein. Eigentlich wollen wir ja eine höhere Inflationsdynamik sehen als in der Vergangenheit. Wir haben ja seit der Finanzkrise die Inflationsraten als zu tief empfunden und mit einer sehr expansiven Geldpolitik gegen zu niedrige Inflationsraten und eine mögliche Deflation angekämpft.

Ist es aus makroökonomischer Sicht ein Problem, wenn einzelne Ausreisser nach oben wie derzeit die Energiepreise die Inflation treiben?

Extreme Ausreisser nach oben sind nie gut. Aber grundsätzlich sind relative Preisänderungen etwas ganz Normales. So sinken zum Beispiel qualitätsbereinigt ständig die Preise für IT-Produkte wie Computer oder Handys. Dienstleistungen werden dagegen tendenziell teurer. Solche Veränderungen gibt es immer. Im Übrigen wollten wir ja schon vor Ausbruch der Ukraine-Krise aus ökologischen Gründen, dass die Energiepreise steigen. Insofern kann es in der Wirtschaftspolitik nicht darum gehen, alle relativen Preisänderungen zu glätten und zu bereinigen.

Aus wirtschaftsliberaler Perspektive könnte man sogar argumentieren, dass das beste Mittel gegen einen hohen Ölpreis ein hoher Ölpreis ist. 

Die These ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn der Ölpreis steigt, sinkt automatisch die Nachfrage und die Energie wird dort gespart, wo es am effizientesten ist. Gleichzeitig sorgt ein hoher Ölpreis dafür, dass das Angebot stimuliert und ausgeweitet wird. Das beste Beispiel dafür ist die Fracking-Technologie. Bei einem niedrigen Ölpreis ist diese Technologie nicht rentabel, aber durch den gestiegenen Ölpreis wird sie jetzt wieder rentabel. Diese Ausweitung des Angebots verbunden mit der sinkenden Nachfrage treibt den Ölpreis wieder zu einem niedrigeren Gleichgewichtspreis. Das ist laut Lehrbuch so und ist gerade auch in der Realität zu beobachten.

Derzeit haben nur zwei westliche Länder niedrige Inflationsraten, nämlich Japan und die Schweiz. Woran liegt das?

Sowohl der Schweizer Franken als auch der japanische Yen gelten als stabile Währungen. Durch diese sogenannte Safe-Haven-Funktion kann die eigene starke Währung in Krisenzeiten die Inflation abfedern, weil der Inflationsdruck von aussen nicht so stark im Inland ankommt. Die niedrige Inflation in der Schweiz hängt zudem auch mit ihrer speziellen Wirtschaftsstruktur zusammen. Die Schweiz ist deutlich weniger abhängig von russischem Gas als zum Beispiel Deutschland, Italien oder viele Länder in Osteuropa. Insgesamt ist die Schweizer Industrie mit ihren Schwerpunkten im Bereich Pharma und Finanzen auch nicht ganz so energieintensiv wie zum Beispiel Deutschland mit seiner Auto- und Schwermetallindustrie.

Was ist grundsätzlich effektiver, um Inflation zu bekämpfen, Fiskalpolitik oder Geldpolitik?

Fiskalpolitik ist nicht dafür gedacht, die Preisdynamik einer Volkswirtschaft zu steuern. Die Geldpolitik ist dagegen in ihrer Zielsetzung darauf ausgerichtet, eine gesamtwirtschaftliche Preisstabilität zu gewährleisten.

«Die KOF erwartet im Euroraum noch in diesem Jahr einen Zinsschritt nach oben, voraussichtlich im Herbst.»    Jan-Egbert Sturm, Direktor Konjunkturforschungsstelle ETH Zürich

Die Geldpolitik kann allerdings kein Feintuning machen und Probleme in Teilbereichen der Wirtschaft lösen. Fiskalpolitik macht genau das. Wenn wir eine Krise im Baugewerbe haben, denkt die Fiskalpolitik darüber nach, wie man das Baugewerbe unterstützen kann. Natürlich können solche staatlichen Interventionen auch die Inflation beeinflussen. Aber das steht nicht im Vordergrund, sondern ist ein positiver oder negativer Nebeneffekt. Bei der Geldpolitik ist es genau umgekehrt. Die Preisstabilität steht im Vordergrund und alles andere ist in den Hintergrund geschoben.

Wo liegen die Grenzen der Geldpolitik? Gibt es beispielsweise Möglichkeiten, die derzeit akuten Lieferengpässe geldpolitisch zu bekämpfen?

Die Geldpolitik ist ein sehr grobes Instrument. Sie kann über die Zins- und Wechselkurspolitik die gesamtwirtschaftliche Preisdynamik beeinflussen. Wenn aber Angebotsengpässe und Lieferengpässe wie zuletzt bei Halbleitern, Vorprodukten und Rohstoffen auftreten, sind die Notenbanken machtlos. Gegen diese Friktionen im mikroökonomischen Produktionsprozess kommt man mit einer makroökonomischen Steuerung der Geldmenge über Zinsen und Wechselkurse nicht an.

Die US-Notenbank (Fed) hat die Zinswende bereits eingeleitet. Wann erwarten Sie eine Zinswende im Euroraum und in der Schweiz?

Die KOF erwartet im Euroraum noch in diesem Jahr einen Zinsschritt nach oben, nach unserer aktuellen Einschätzung voraussichtlich im Herbst. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) dann der Europäischen Zentralbank (EZB) folgt, ist sehr hoch.

Wie gross ist derzeit die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale?

Aus Schweizer Sicht ist die Gefahr – anders als zum Beispiel in den USA oder in Deutschland – noch nicht so gross. Früher oder später ist es aus ökonomischer Sicht sogar wünschenswert, dass sich Löhne mit der Produktivitätsentwicklung und Preise im Gleichschritt bewegen. Aber man darf nicht den einen Schritt zu weit gehen. Die Lohndynamik sollte nicht wiederum die Preisdynamik stimulieren, sonst schaukeln sich beide Grössen gegenseitig hoch und es kommt zu einer Lohn-Preis-Spirale, aus der man nur schwer wieder rauskommt.

Werden wir in absehbarer Zeit wieder Zinssätze oberhalb der Inflation sehen?

Wir werden sicherlich wieder in so eine Situation zurückkehren. Wichtige Zentralbanken haben die Zinswende schon eingeläutet. Man muss auch aufpassen und verstehen, dass die Zinsen für den Otto-Normalverbraucher meist nicht identisch mit den Zentralbankzinsen sind. Ich kenne jedenfalls niemanden, der für seinen Immobilienkredit minus 75 Basispunkte bezahlt. Für die meisten von uns sind längerfristige Kreditzinsen ein besserer Orientierungspunkt. Diese liegen in der Regel höher als kurzfristige Zentralbankzinsen und sind daher auch real, d.h. korrigiert für Inflation, schneller positiv. Zudem wird die Inflationsrate wieder sinken.

Einen Vortrag von Jan-Egbert Sturm über die wirtschaftlichen Konsequenzen des Ukraine-Krieges für die Schweiz, auch in Hinblick auf die Inflation, finden Sie hier zum Nachschauen.

Auch die nächste KOF-NZZ Ökonomenumfrage beschäftigt sich mit dem Thema Inflation. Die Ergebnisse finden Sie ab Mitte April hier.

Kontakte

Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm
Ordentlicher Professor am Departement Management, Technologie und Ökonomie
Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle
  • LEE G 305
  • +41 44 632 50 01

Professur f. Wirtschaftsforschung
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Dr. Thomas Domjahn
  • LEE F 114
  • +41 44 632 53 44

KOF Bereich Zentrale Dienste
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

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