Globaler Konjunkturausblick bleibt weiterhin schwach

Die befürchtete Energiekrise ist zwar ausgeblieben, aber anhaltend hohe Inflationsraten, steigende Zinsen und geopolitische Konflikte belasten die Weltwirtschaft.

Die globale Produktion hat wie erwartet zu Jahresbeginn gegenüber dem Schlussquartal 2022 wieder etwas an Fahrt aufgenommen. Massgeblich dazu beigetragen hat die Abkehr der chinesischen Regierung von der Null-COVID-Politik, die die Wirtschaft in China zuletzt deutlich belebte. Dabei verzeichnete sowohl die Industrie als auch der Dienstleistungssektor eine spürbare Erholung und wurde durch ein Aufleben des privaten Konsums unterstützt.

Auch trugen in verschiedenen Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten höhere Exporte und ein stärker als erwarteter Anstieg des privaten Konsums, der von einem Rückgang in den Energiepreisen getragen wurde, zu einer positiven konjunkturellen Entwicklung bei. Insgesamt verlief die wirtschaftliche Entwicklung in Europa jedoch eher schwach. Insbesondere in Deutschland, wo die Wirtschaft im ersten Quartal 2023 durch einen starken Rückgang des Staatskonsums und einen schwachen privaten Konsum nach einem zweiten negativen Quartal in Folge in eine technische Rezession gerutscht ist. Dies ist unter anderem auf den Wegfall staatlich finanzierter Massnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie, wie beispielsweise Impfungen und Tests, sowie auf hohe Preise für Lebensmittel, Dienstleistungen und Energie zurückzuführen.

Die globale Konjunkturdynamik dürfte in der zweiten Jahreshälfte schwach ausfallen (siehe Grafik G 12). Die zwar rückläufigen, aber immer noch hohen Inflationsraten und die erschwerten finanziellen Rahmenbedingungen dürften zu einer Dämpfung des privaten Konsums, des internationalen Handels und der Investitionstätigkeit führen.

Entspannung bei den Energiepreisen führt zu weiterem Rückgang der Inflation

Die Produzentenpreise für verschiedene Länder sind in den vergangenen Monaten weiter gefallen bzw. haben stagniert (siehe Grafik G 13). Diese Entwicklung wurde massgeblich durch den Rückgang der Energiepreise seit Jahresanfang aufgrund der milden Temperaturen im vergangenen Winter und den Energiesparmassnahmen von Haushalten und Unternehmen beeinflusst. Darüber hinaus hat sich die Aufhebung coronabedingter Restriktionen in China positiv auf die Lieferengpassproblematik ausgewirkt und zu einer Entspannung bei den Preisen für Rohstoffe und Vorprodukte geführt.

Infolgedessen liess auch die Konsumentenpreisinflation im Euroraum deutlich von 7% im April auf 6.1% im Mai nach. Dies ist die niedrigste Rate seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Auch die Kerninflation erfuhr im aktuellen Quartal einen leichten Rückgang von 5.7% im März auf 5.3% im Mai, liegt damit aber weiterhin deutlich über dem Notenbankziel für Preisstabilität. Die Entwicklung sinkender Inflationsraten ist nicht nur auf den Euroraum beschränkt, sondern betrifft ebenfalls die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich mit einer Konsumentenpreisinflation im April von 5% bzw. 8.7%.

Geldpolitischer Straffungskurs dürfte sich weiter verlangsamen

Angesichts der nach wie vor hohen und nur langsam abklingenden Inflationsraten haben die US-Notenbank Fed, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England ihren geldpolitischen Straffungskurs in den vergangenen Monaten fortgesetzt. Die Fed hat seit März das Zielband der Federal Funds Rate in zwei Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte auf aktuell 5 bis 5.25% angehoben. Es zeichnet sich jedoch eine Verlangsamung weiterer restriktiver geldpolitischer Massnahmen ab. Erstmals nach einer Serie von zehn Zinsanhebungen in Folge hat das Federal Open Market Committee (FOMC) in seiner Sitzung vom 14. Juni entschieden, das Leitzinsniveau nicht weiter zu erhöhen. Dies ermöglicht den FOMC-Mitgliedern eine genauere Bewertung der Auswirkungen des bisherigen geldpolitischen Straffungskurses. Damit könnte vorerst der Leitzinshöhepunkt erreicht sein, obwohl weitere Zinsanhebungen in der zweiten Jahreshälfte 2023 im Statement zum letzten Zinsentscheid nicht gänzlich ausgeschlossen werden und in Abhängigkeit zur makroökonomischen Entwicklung stehen.

Aufgrund der zuletzt erhöhten Unsicherheiten an den Finanzmärkten und des Rückgangs in den Verbraucherpreisen im Bereich Dienstleistungen ohne Mieten, Nahrungsmittel und Energie, welche jüngst von der Fed als präferiertes Inflationsmass genutzt wurde, erwartet die KOF in den kommenden Monaten keine weiteren Leitzinserhöhungen in den USA. Aufgrund der aktuell noch weit über den Notenbankzielen liegenden Inflationsrate geht die KOF im weiteren Verlauf des Jahres nicht von einer Leitzinssenkung aus.

Die EZB hat ebenfalls seit März die Leitzinsen in drei Schritten in Höhe von jeweils 25 Basispunkten weiter erhöht. Damit liegt der Hauptrefinanzierungssatz aktuell bei 4% und hat ein Niveau wie zuletzt vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 erreicht. Auch die Bank of England hat ihren Leitzinssatz zuletzt in mehreren Schritten auf aktuell 5% angehoben. Trotz der zurückliegenden Verwerfungen an den Finanzmärkten erwartet die KOF für die folgenden Monate weitere Leitzinserhöhungen von Seiten der EZB und der Bank of England. Dies liegt unter anderem daran, dass die Unsicherheiten im Bankensektor zuletzt wieder abgenommen haben und die Zentralbanken weiterhin fürchten, dass sich hohe Inflationserwartungen verfestigen.

Inflation dürfte sich hartnäckig halten

In Hinblick auf die gefallenen Energiekosten und das Auslaufen von Basiseffekten vergangener Preissteigerungen dürfte die Inflation in den kommenden Monaten in vielen Ländern weiter an Dynamik verlieren (siehe Grafik G 14). Jedoch könnte das Ausmass des Inflationsrückgangs geringer ausfallen als von den Zentralbanken erhofft. Grund hierfür sind der weiter angespannte Arbeitsmarkt, der Fachkräftemangel und starke Lohnsteigerungen in manchen Ländern, die den Druck auf die Kerninflation hochhalten.

Darüber hinaus bleibt die Preisdynamik im Dienstleistungssektor aufgrund der hohen Nachfrage im Zuge der postpandemischen Erholung weiterhin erhöht. Dementsprechend dürfte die Inflation in vielen Ländern nur langsam nachlassen und im Prognosezeitraum noch über den Zielwerten der Zentralbanken liegen. Die KOF prognostiziert für den Euroraum eine Jahresinflation von 6.3% für 2023 sowie von 3.5% für 2024. Für die Vereinigten Staaten werden Jahresinflationsraten von 4.3% für 2023 und von 2.7% für 2024 erwartet.

Die positive Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion zu Jahresanfang wird wohl im aktuellen Quartal anhalten, bevor sie in der zweiten Jahreshälfte deutlich nachlassen dürfte. Der starke Anstieg des Konsums in den Vereinigten Staaten im ersten Quartal dürfte nur von vorübergehender Natur sein und im Laufe des Jahres abflauen, da dieser hauptsächlich durch Einmaleffekte wie Steuererleichterungen und eine Erhöhung der Sozialhilfeleistungen zu Jahresbeginn zustande kam. Zudem haben sich zuletzt wichtige Frühindikatoren für sämtliche Länder merklich eingetrübt (siehe Grafik G 15).

Neben dem Industrie- und Bausektor, die bereits in den vergangenen Quartalen bzw. Monaten eine schwache Investitionsdynamik aufgrund erschwerter Finanzierungsbedingungen verzeichneten, hat sich die Stimmung auch im Detailhandel und im Dienstleistungsbereich verschlechtert. Insbesondere im Dienstleistungsbereich kann die hohe Nachfrage aufgrund des weiterhin bestehenden Arbeitskräftemangels nicht vollends bedient werden, was zu höheren Lohnforderungen und steigenden Preisen führen dürfte.

Die anhaltenden hohen Inflationsraten bei Lebensmitteln und Dienstleistungen schränken die Kaufkraft der Verbraucher ein, dürften zu einem stärkeren Sparverhalten führen und somit den Konsum dämpfen. Zudem dürfte die restriktive Geldpolitik die Kreditbedingungen für Haushalte und Unternehmen weiter belasten und zu verringerten Investitionstätigkeiten führen.

Positive Gegenimpulse sollten hingegen nach der Abkehr der chinesischen Regierung von der Null-COVID-Politik von Nachholeffekten kommen, die die wirtschaftliche Aktivität in China im Jahr 2023 anregen dürften. Aufgrund von Unsicherheiten über die wirtschaftliche Entwicklung und die hartnäckige Krise im Immobiliensektor, die den Konsum belasten dürfte, wird erwartet, dass die Nachholeffekte in China im Vergleich zu anderen Ländern geringer ausfallen werden. Für das mit Schweizer Exporten gewichtete Welt-Bruttoinlandprodukt (BIP) prognostiziert die KOF eine Wachstumsrate von 1.4% in diesem Jahr und 2% für 2024.

Risiken sind weiterhin vielfältig

Die Prognose der KOF unterliegt der Annahme, dass der Ölpreis und die Preise weiterer Energieträger über den Prognosehorizont leicht ansteigen (1.5% pro Jahr). Die Aufwärts- und Abwärtsrisiken der Prognose sind aufgrund der Unsicherheiten bezüglich der Energiepreisentwicklung und des weiteren Verlaufs des Krieges in der Ukraine weiterhin vielfältig. Zu den Abwärtsrisiken gehören Zweitrundeneffekte durch höhere als die erwarteten Lohnforderungen, die persistentere Inflationsraten als bisher angenommen implizieren würden. Damit würden sich die Notenbanken zu einer restriktiveren Geldpolitik gezwungen sehen, was die Gefahr eines Konjunkturabschwungs bedeutend steigern würde.

Darüber hinaus könnte ein höher als erwarteter negativer Effekt des geldpolitischen Straffungskurses die Finanzierungsbedingungen für Konsumenten und Unternehmen stärker belasten und weitere Verwerfungen im Finanzmarktsektor nach sich ziehen. Ausserdem besteht die Möglichkeit einer weiteren Eskalation geopolitischer Spannungen im Zuge des Krieges in der Ukraine. Zudem könnte durch die wieder anziehende Konjunktur in China die weltweite Nachfrage nach Erdgas erneut steigen. Damit besteht das Risiko, dass im kommenden Winter Erdgas in Europa nur zu hohen Kosten verfügbar sein wird, was negative Folgen für die Konjunktur hätte.

Zuletzt ist auch unklar, wie stark sich die kumulierten Ersparnisse insbesondere in den Vereinigten Staaten abbauen werden. Stark ungleich verteilte Ersparnisse in der Bevölkerung könnten dazu führen, dass tiefere Einkommensklassen bereits früher als in der Basisprognose der KOF erwartet ihre Ersparnisse aufgebraucht haben. Als Folge könnte eine frühere und stärkere Rezession in den Vereinigten Staaten auch verstärkt die Wirtschaft in Europa mit sich ziehen.

Aufwärtsrisiken bestehen darin, dass sich der Konsum durch einen stärkeren Abbau der Ersparnisse positiver als erwartet entwickelt und damit die Konjunktur kurzfristig anfeuert. Zudem ist es möglich, dass die Inflationsraten früher in den Bereich der Notenbankziele zurückgehen. Damit könnte die Geldpolitik zu einem früheren Zeitpunkt wieder einen weniger restriktiven Kurs einlenken und damit Investitionstätigkeiten weniger stark dämpfen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass sich bestehende geopolitische Konflikte unerwartet deutlich entschärfen, was die Konsumenten- und Unternehmensstimmung verbessern würde.

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