
«Die Geldpolitik im Euroraum bleibt vorerst restriktiv»
Die beiden KOF Ökonomen Alexander Rathke und Alexis Perakis ordnen die Zinsentscheidungen im Euroraum, in den USA und der Schweiz ein. Ausserdem äussern sie sich zu den politischen Risiken durch die Neuwahlen in Frankreich.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die Zinsen um 0.25 Prozentpunkte auf 1.25% gesenkt. War die Entscheidung richtig?
Perakis: Aus unserer Sicht war das die richtige Entscheidung. Die sinkende Inflation und der gestiegene Frankenkurs waren zwei gute Argumente für eine Zinssenkung.
Rathke: Hinzu kommt, dass niedrige Zinsen der SNB Spielraum geben, über Devisenverkäufe ihre Bilanz zu verkürzen. Die SNB hatte in der Phase der Frankenstärke fast ein Jahrzehnt lang Devisenmarktinterventionen betrieben und Fremdwährungsreserven wie Dollar und Euro aufgekauft, um den Franken zu schwächen. Nun kann sie diese Devisenbestände dank der hohen Zinsdifferenz gegenüber dem Euroraum und dem Dollarraum wieder abbauen, ohne dass der Franken zu stark aufwertet.

«Die sinkende Inflation und der gestiegene Frankenkurs waren zwei gute Argumente für die Zinssenkung der SNB.»Alexis Perakis![]()
Wie ist der Zinsausblick für die Schweiz bis zum Jahresende?
Rathke: Gemäss unserer Download aktuellen Konjunkturprognose wird der nächste Zinsschritt in der Schweiz im März 2025 erfolgen (siehe Grafik 1). Wenn die Inflation aber weiter sinkt und auch die Europäische Zentralbank (EZB) in diesem Jahr weitere Zinsschritte macht, könnte die SNB auch noch vor dem Jahreswechsel die Zinsen erneut senken.
Bei einer weiteren Zinssenkung wären wir in der Schweiz bei einem Leitzins von 1% angelangt. Das würde nur noch wenig Spielraum für weitere Zinssenkungen geben, ohne wieder in Richtung eines Nullzinses zu gehen. Ist das ein Argument, bei diesem Wert die Zinssenkungen zu beenden?
Rathke: Das ist sicherlich ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Es gibt gute Gründe dafür, dann das Pulver trocken zu halten und die Zinsen nicht mehr unter diesen Wert zu senken, um nicht wieder Richtung Nullzinsen oder sogar Negativzinsen zu gehen.
Wie werden sich der Franken und die Inflation in diesem und im nächsten Jahr entwickeln?
Perakis: Wir gehen von einer leichten Aufwertung des Frankens aus. Die Inflation wird gemäss unserer Prognose in diesem Jahr 1.3% betragen und im nächsten Jahr 1% (siehe Grafik 2).
Die EZB hat im Juni die Zinswende eingeleitet und wie die SNB die Zinsen um 0.25 Prozentpunkte gesenkt. Auch hier die Frage: War das die richtige Entscheidung?
Perakis: Der EZB ist es gelungen, innerhalb eines Jahres die Inflation im Euroraum zu halbieren, auch wenn man noch nicht im Zielbereich von 2% angekommen ist. Konjunkturell läuft es dagegen harzig. Insofern war der Spielraum für eine Zinssenkung da.
Wie ist der Zinsausblick für den Euroraum bis zum Jahresende?
Perakis: Nach unserer Einschätzung wird es bis zum Jahresende noch zwei bis drei Zinssenkungen geben – je nach Entwicklung der Inflation.
Folgt einer Zinssenkung historisch typischerweise ein ganzer Zinssenkungszyklus oder kann es nach einer Zinssenkung auch wieder erratisch mit den Zinsen hoch gehen?
Rathke: In der Regel folgen die Zinssenkungen einem Zyklus. Erst wenn die Konjunktur und Inflation drehen, kommt es üblicherweise wieder zu Zinserhöhungen. Im Augenblick ist wichtig zu beachten, dass auch nach der Zinssenkung die Geldpolitik im Euroraum vorerst weiter restriktiv bleibt.
Die amerikanische Notenbank (Fed) hat anders als die EZB und die SNB in diesem Jahr noch nicht an der Zinsschraube gedreht. Warum?
Rathke: In den USA hat man die umgekehrte Situation wie in Europa: Die Konjunktur ist robust, aber die Inflation geht nur langsam zurück. Angesichts dessen ergibt es Sinn, erst mit Zinssenkungen zu beginnen, wenn sich der Rückgang der Inflation als nachhaltig erweist. Nach unserer Prognose wird dies erst im Herbst der Fall sein.
In den USA stehen im November Präsidentschaftswahlen an, Martin Schlegel wurde zum neuen Nationalbankpräsidenten ernannt. Spielen solche Personalfragen auch eine Rolle für die Geldpolitik?
Perakis: Nein, Zentralbanken wie die SNB, die EZB und das Fed sind unabhängig.

«Das Ergebnis der Europawahlen sollte man nicht überdramatisieren.»Alexander Rathke![]()
Es gibt zwei grosse Philosophien, um die Märkte auf Zinsschritte vorzubereiten: Forward Guidance und ein datengesteuertes Entscheiden von Sitzung zu Sitzung. Welche Strategie ist zum jetzigen Zeitpunkt besser?
Rathke: Auf die Frage, was der optimale Grad der Zentralbankkommunikation ist, gibt es keine eindeutige wissenschaftliche Antwort. In der Praxis beobachten wir Pendelbewegungen. Früher hat man fast gar nicht kommuniziert. Dann kam eine Phase sehr starker Kommunikation. Später hat die EZB die Kommunikation wieder zurückgefahren und macht nur noch acht statt zwölf Pressekonferenzen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat nach den Europawahlen Neuwahlen in Frankreich angekündigt, was den Euro geschwächt hat. Welche Rolle spielen politische Faktoren gerade bei der Geldpolitik?
Rathke: Die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro nach der Europawahl hat sicherlich eine Rolle bei der Zinsentscheidung der SNB gespielt. Das Ergebnis der Europawahlen sollte man allerdings nicht überdramatisieren. Verschiebungen zwischen den Parteien gehören zu einer Demokratie dazu. Der Risikoaufschlag für französische Staatsanleihen ist allerdings deutlich gestiegen, das gilt es sicher zu beobachten.
Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire hat vor einer europäischen Finanz- und Schuldenkrise gewarnt, wenn das Rassemblement National im Juli die Parlamentswahlen gewinnen sollte.
Perakis: Das ist auch ein Stück Wahlkampfrhetorik. Selbst wenn Jordan Bardella, Vorsitzender des Rassemblement National, Premierminister in Frankreich werden sollte, müsste er höchstwahrscheinlich in einer Koalition agieren. Und in Frankreich hat der Präsident eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von politischen Entscheiden. Etwas anderes wäre, wenn Marine Le Pen 2027 zur Präsidentin gewählt werden sollte bei einem bestehenden Premierminister des Rassemblement National. Aber bis dahin sind es noch über zweieinhalb Jahre.
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