
Vermögenssteuer: Die Mindeststeuer für Reiche
Reiche und Superreiche haben trotz sehr hoher Einkommen prozentual gesehen oft eine viel tiefere Einkommenssteuerbelastung als Haushalte des Mittelstands. Auch in der Schweiz fällt die Einkommenssteuerbelastung für Milliardäre dank Privilegien für Unternehmenseigentümer schnell einmal deutlich tiefer aus als für den Rest der Steuerpflichtigen. Die Vermögenssteuer macht hier jedoch einen wesentlichen Unterschied: Sie springt in die Bresche, wenn die Einkommenssteuer nicht mehr richtig greift.
Diverse Studien zeigen, dass (Super-)Reiche trotz hoher Einkommen typischerweise eine tiefere effektive Steuerbelastung aufweisen als der Mittelstand und obere Mittelstand. Das Steuersystem ist gemäss der einschlägigen Literatur als Ganzes deutlich weniger progressiv ausgestaltet, als man allein beim Blick auf die Einkommenssteuersätze vielleicht denken würde (Piketty, Saez, und Zucman, 2018; Saez und Zucman, 2019a, 2019b; Advani, Hughson und Summers, 2023; Schuster, 2024; van Essen et al., 2024).
Der Hauptgrund liegt darin, dass vermögende Personen vor allem Kapitaleinkommen (Dividenden, Mieteinnahmen, Zinsen) erzielen, die meist tiefer besteuert werden als Löhne, und nicht mit Sozialabgaben belastet werden. Zudem können Kapitaleinkommen aus verschiedenen Quellen in einer Firma gebündelt werden, so dass erstmal gar keine Einkommenssteuern anfallen. Und die Schweizer Einkommenssteuer unterscheidet zwar eigentlich nicht zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen, aber Dividenden aus qualifizierten Beteiligungen (mind. 10%) werden privilegiert besteuert, die Reduktion beträgt je nach Kanton bis zu 50%.
Vergleich der Einkommenssteuerbelastung in der Schweiz anhand eines Musterbeispiels
Aber wie hoch ist nun die Steuerbelastung der Reichen in der Schweiz? Eine aktuelle KOF Studie (Martínez, 2024) geht dieser Frage anhand verschiedener Musterbeispiele nach. Sie vergleicht die Steuerbelastung eines Mustermillionärs im Kanton Zug mit jener einer Mittelstandsfamilie im gleichen Kanton.
Der Millionär Max Muster besitzt zusammen mit seiner Schwester ein mittelständisches Unternehmen, das sie geerbt haben und welches er als CEO führt. Er besitzt insgesamt rund 83 Mio. Franken und gehört damit zum Top-0.1-Prozent der Vermögensverteilung (rund 5400 Steuerpflichtige). Er erzielt ein Jahreseinkommen von 6 Millionen Franken, aber nur 10% stammen aus seiner Erwerbstätigkeit als CEO. Das restliche Einkommen stammt aus dem Gewinn des Unternehmens sowie aus Mieteinnahmen und Eigenmietwert. Da er die Hälfte des Unternehmens besitzt, werden die jährlich ausgeschütteten Dividenden reduziert besteuert. Im Kanton Zug beträgt dieser Rabatt 50%, beim Bund 30%. Obwohl der Spitzensteuersatz inklusive Direkte Bundessteuer im Kanton Zug bei 22% liegt, wird sein Einkommen nur mit 13.6% besteuert (inkl. Sozialbeiträge und Krankenkassenprämien1).
Herr Muster kann aber seine Steuerlast deutlich reduzieren, indem er eine Holding gründet. Rechtlich gesehen besitzt die Muster Holding die verschiedenen Vermögenswerte. Die Kapitaleinkünfte fliessen so steuerfrei in die Muster Holding und nicht an die natürliche Person Max Muster, der darauf Einkommenssteuer bezahlen würde. Die Holding kann das Vermögen verwalten und reinvestieren, zum Beispiel in Wertpapiere oder in Immobilien, deren Erträge ebenfalls in die Holding fliessen. Die Einkommenssteuer von Max Muster reduziert sich so auf 3.9%.
Die Steuerersparnis ist also so gross, dass sich die Gründung einer Holding für Herrn Muster lohnt. Zwar fallen Einkommenssteuern an, wenn er sich aus der Holding Dividenden ausschüttet (auch diese werden privilegiert besteuert, da er ja der alleinige Eigentümer der Holding ist), doch kann er seinen Lebensunterhalt auch gut bestreiten, ohne sich das gesamte Einkommen auszuschütten. In der Holding wachsen die Vermögenswerte über die Jahre an, irgendwann werden seine beiden Kinder diese steuerfrei erben.
Die vierköpfige Mittelstandsfamilie Zuger profitiert ebenfalls vom milden Steuerklima im Kanton Zug. Mit einem Bruttoeinkommen von 200 000 Franken (inkl. Eigenmietwert aus ihrer Eigentumswohnung) kommt sie auf eine Steuerbelastung von 11% (inkl. Sozialbeiträge und Krankenkassenprämien). Das ist weniger, als eine vergleichbare Familie in den meisten Kantonen zahlen würde – aber deutlich mehr als 3.9% und auch nur unwesentlich weniger als die 13.6% der Familie Muster, die immerhin ein 30-mal höheres Bruttoeinkommen hat.
Für die Schweiz zeigen Roller und Schmidheiny (2016) zudem, dass die effektive Progression aufgrund des Steuerwettbewerbs tiefer ausfällt als die durchschnittliche Steuerprogression über alle Kantone hinweg, wie sie auf dem Papier steht, denn: Steuerpflichtige mit hohen Einkommen leben viel häufiger in Tiefsteuerkantonen als in Kantonen mit durchschnittlicher oder gar hoher Steuerlast. Für Einkommen über einer Million Franken ist der Effekt so stark, dass die Einkommenssteuerprogression sogar wieder abnimmt.2
Die Vermögenssteuer macht den Unterschied
Das Bild ändert sich, wenn die Vermögenssteuer mit in die Betrachtung einfliesst. Denn auch wenn Herr Muster eine Holding gründet, ist er letztlich dennoch der Besitzer dieser Vermögenswerte beziehungsweise der Holding. Er bezahlt deshalb jährlich Vermögenssteuern von rund 215 000 Franken. Umgelegt auf sein tatsächlich erwirtschaftetes Einkommen (das zum Grossteil in seine Holding fliesst), steigt die Steuerbelastung von 3.9% auf 7.4%. Berücksichtigt man zudem die Unternehmenssteuern, beträgt seine gesamte Steuerlast 18.5%.
Die Vermögenssteuer ist somit eine Art Mindeststeuer, die in die Bresche springt, wenn die Einkommenssteuer nicht mehr richtig greift. Letztere ist auf die grosse Masse ausgelegt, die ihre Einkommen als Lohn und aus kleineren Kapitaleinkünften bezieht, die sich kaum optimieren lassen. Superreiche weisen jedoch eine gänzlich andere Einkommensstruktur auf: Ihr Anteil aus Arbeitseinkommen ist tief und sie haben diverse Möglichkeiten, ihre Kapitaleinkünfte so zu strukturieren, dass die Steuerbelastung tief bleibt.
Die Vermögenssteuer hat zudem einen weiteren Nebeneffekt. Anhand des Beispiels zweier Roche-Erben, Jörg Duschmalé und André Hoffmann, zeigt die KOF Studie, dass die Vermögenssteuer Milliardäre dazu zwingt, sich jährlich einen Teil der Dividenden tatsächlich ausschütten zu lassen, um die Steuer zu begleichen.3 So schuldet André Hoffmann, der im Hochsteuerkanton Waadt lebt, jährlich rund 20 Millionen Franken Vermögenssteuer. Auch unter der Annahme, dass ihm 2.5 Millionen Franken pro Jahr zum Leben eigentlich reichen und er den Rest in einer Holding parkieren kann, wird er sich von seinen schätzungsweise 84.6 Millionen Franken Dividenden nochmal knapp 20 Millionen Franken auszahlen lassen müssen, um die Steuer zu begleichen. Seine persönliche Steuerlast steigt von 12% des Einkommens auf 35%, wenn man die Vermögenssteuer mitberücksichtigt.
Diese Beispiele zeigen, dass die Vermögenssteuer eine Lücke in der Einkommensbesteuerung füllen kann bei Steuerpflichtigen mit sehr hohen Vermögen und daraus resultierenden Einkommen weit über dem jährlichen Bedarf für Konsum. Vor diesem Hintergrund sollte auch die derzeit in der G20 diskutierte globale Vermögenssteuer von 2% auf Milliardenvermögen verstanden werden. Tatsächlich geht es dabei um die Sicherstellung einer Mindeststeuerlast. Dem Prinzip der Besteuerung gemäss wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, welchem sich auch die Schweiz explizit in ihrer Verfassung verpflichtet (Art. 127 Abs. 2 BV), soll damit besser Rechnung getragen werden.
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1Für internationale Vergleiche ergibt es Sinn, die Krankenkassenprämien wie eine Kopfsteuer zu behandeln, da diese Beiträge in anderen Ländern oft als Sozialabzüge vom Einkommen anfallen. Zudem besteht eine Versicherungspflicht, so dass die Prämie den Charakter einer Steuer hat.
2Die höheren Wohnungspreise in Tiefsteuerkantonen sind dabei berücksichtigt.
3Die Berechnungen für die Roche-Erben basieren auf vereinfachten Annahmen zu ihrer Steuersituation.
Ansprechperson
KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092
Zürich
Schweiz
Weitere Literatur
Advani, A., H. Hughson, & A. Summers (2023): How much tax do the rich really pay? Evidence from the UK. Oxford Review of Economic Policy, 39(3), 406–437.
Van Essen, C., T. Vanheukelom, R. Schulenberg, & A. Lejour (2024): Inkomens en belastingen aan de top. Centraal Planbureau, Netherlands.
Piketty, T., E. Saez, & G. Zucman (2018): Distributional national accounts: methods and estimates for the United States. The Quarterly Journal of Economics, 133(2), 553–609.
Roller, M. & K. Schmidheiny (2016): Effective tax rates and effective progressivity in a fiscally decentralized country. CEPR Discussion Paper No. DP11152.
Saez, E. & G. Zucman (2019a): Progressive wealth taxation. Brookings Papers on Economic Activity, 2019(2), 437–533.
Saez, E. & G. Zucman, (2019b): The triumph of injustice: How the rich dodge taxes and how to make them pay. WW Norton & Company.
Schuster, B. (2024): Die Steuerschere. Der ungleiche Steuerbeitrag von Durchschnittsfamilien und Superreichen. Momentum Institut, Österreich.